Musiker: 2nd Face
Genre: Electro, Industrial
Laufzeit: 60 Minuten
Tracklist:
01 - Momentum
02 - Formula extinction
03 - Vox irae
04 - Mydriasis
05 - Life(l)over
06 - Underneath the silence
07 - Aether
08 - 1 of the others
09 - Public enemy
10 - Faith
Erscheinungsdatum: 12.05.2023
Sprache: Englisch
Ganze sechs Jahre hat es gedauert, bis mit utOpium das zweite Album des Industrial-Projekts 2nd Face das Licht der Welt erblickte. Der Grund dürfte wahrscheinlich im vollen Zeitplan des umtriebigen Mainzers Vincent Uhlig liegen. Wenn er nicht grade mit den (von mir sehr geschätzten) Fïx8:Sëd8 auf der Bühne steht, sind seine Fähigkeiten als Produzent und Mischer für eine Vielzahl von Bands und Projekten gefragt. So ist es also nicht wirklich verwunderlich, dass sich die Nachfolge des hochgelobten Debüts Nemesis so lange hingezogen hat. Mittlerweile ist das Album jedoch bei Dependent Records erschienen.
Was steckt drin?
Beim Erwerb des Albums stellt das Label den Käufer vor die Qual der Wahl. Neben einer rein digitalen Variante als Stream oder Download gibt es utOpium in zwei unterschiedlichen Versionen als physischen Tonträger. Die reguläre Veröffentlichung im Digi-Pack mit kleinem Booklet dient als Grundlage der Rezension. Daneben gibt es noch eine limitierte Auflage in Form eines Hardcover-Artbooks. Dieses wartet nicht nur mit umfangreichem Bildmaterial auf, sondern umfasst auch noch eine zweite CD mit sechs zusätzlichen Tracks. Für Käufer der CD-Veröffentlichungen gibt es außerdem noch einen Download-Code. Beziehen kann der interessierte Hörer das Album beispielsweise HIER.
Was wird gespielt?
„Momentum“, der längste Track des Albums, eröffnet die Reise in die Klanglandschaften von Vincent Uhlig. Nach einem langgezogenen Intro, mit immer lauter werdenden Klangfetzen, sind erst nach gut anderthalb Minuten Rhythmen und ein Melodieansatz zu erkennen. Nochmal genau so lange dauert es, bis schließlich die verzerrten Vocals einsetzen. Geschwindigkeit, Intensität und Druck nehmen im Laufe der über sieben Minuten langsam aber unmerklich zu. Ein interessantes Stück Musik, bei dem sich auch nach mehreren Hördurchgängen immer neue Details offenbaren.
Dagegen folgt „Vox irae“ (scheinbar) gängigen Strukturen. Ein eingängiger Midtempo-Beat mit melodischer Untermalung und verfremdeter Ruf-Gesang liefern hochwertige, sehr hörenswerte Kost. Grade wenn sich der Hörer jedoch in bekannten musikalischen Gefilden wähnt, wird das Lied immer wieder durch überraschende Breaks und Zwischenpassagen unterbrochen. Trotzdem eines meiner persönlichen Highlights und am ehesten für die Tanzfläche geeignet.
Sehr viel langsamer und bedrohlicher geht es bei „Life(l)over“ zu. Die verschiedenen Sound-Elemente werden hier recht sparsam eingesetzt. Beats, Keyboard-Melodien und reichlich verzerrte Klänge stehen gleichwertig neben den beklemmenden Vocals. Auch hier erschliessen sich beim mehrmaligen Hören viele Feinheiten, die 2nd Face im Track versteckt haben. Wer sich selbst ein Bild davon machen möchte, findet HIER den dazugehörigen Video.
Während ich bei den meisten Tracks auf utOpium den Eindruck habe, dass Gesang und Musik gleichberechtigt nebeneinanderstehen, oder gar der Musik mehr Raum gegeben wird, geht „1 of the others“ einen anderen Weg. Hier dreht sich alles um die eher gesprochenen Vocals, die von gesampelten Filmzitaten eingerahmt werden. Was jedoch nicht heißt, dass der Sound vernachlässigt wird. Kurze instrumentale Passagen, vor allem zum Ende hin, sorgen für den musikalischen Anspruch.
In den zehnten und letzten Track „Faith“ packt Herr Uhlig noch einmal alles hinein, was seine Musik ausmacht. Eingängige, zarte und druckvolle Melodien, verzerrte industrielle Klangcollagen, extrem verfremdete, gesprochene Vocals, beinahe klaren Gesang und ein Beat, der den Hörer mitzieht. Für mich das beste Stück auf einem wirklich gelungenen Album
Gehört die CD in den Player?
utOpium ist kein Album, das sich nebenbei konsumieren lässt. Die Soundstrukturen sind einfach zu komplex (und teilweise verstörend) um als Hintergrunduntermalung zu dienen. Auch für die Tanzflächen einschlägiger Clubs eignen sich nur wenige Stücke. Viel mehr wird erwartet, dass sich der Hörer intensiver mit der Musik auseinandersetzt. Die Tracks sind ausgesprochen vielschichtig aufgebaut und entfalten ihre volle Wirkung erst nach mehrmaligem, aufmerksamen Hören – gerne mit Kopfhörer. Als Belohnung gibt es einen sehr atmosphärischen, beklemmenden Streifzug durch eine industrielle Dystopie. Eine Utopie habe ich dagegen eher vergeblich gesucht – selbst wenn das letzte Lied diese in Aussicht stellt. Insgesamt eines der spannendsten elektronischen Stücke Musik, die mir in letzter Zeit untergekommen sind.
Das 16seitige Booklet enthält neben den Texten sehr sehenswerte Bilder von Vlad McNeally, der schon verschiedenste musikalische Projekte visuell unterstützt hat.
Wer 2nd Face live erleben möchte, hat in nächster Zeit Gelegenheit dazu, beispielsweise im Frankfurter Das Bett.
Auf der Homepage von Dependent gibt es weitere Informationen zu Tonträger und Musiker.
utOpium ist ein durchweg ungewöhnliches, außergewöhnliches Album, das sein volles Potential jedoch erst beim zweiten oder dritten Durchlauf entfaltet.