Musiker: In Extremo
Label: Universal Music, Vertigo Berlin
Genre: Alternative, Metal, Rock
Laufzeit: 55 Minuten
Tracklist:
01 - Troja
02 - Kompass zur Sonne
03 - Lügenpack
04 - Gogiya (mit Russkaja)
05 - Salva Nos
06 - Schenk nochmal ein
07 - Saigon und Bagdad
08 - Narrenschiff
09 - Wer kann segeln ohne Wind
10 - Reiht euch ein ihr Lumpen
11 - Biersegen
12 - Wintermärchen
13 - 7 Brüder (Bonustrack)
14 - Saigon und Bagdad Elektro Version (Bonustrack)
Erscheinungsdatum: 08.05.2020
Sprache: Deutsch
Meine erste Begegnung mit In Extremo liegt bereits viele Jahre zurück. Das Konzert hat seinerzeit jedoch einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Auf einem kleinen, regionalen Mittelaltermarkt bei strömendem Regen und eisigen Temperaturen hat die Band unter einer Plane zwischen Strohballen gespielt, während das Publikum direkt daneben saß. Im Laufe der Zeit sind Felle, Schnabelschuhe und Rüstungsteile einem eher wilhelminischen Stil gewichen. Wirft man dagegen einen Blick auf die verwendeten Instrumente, so ist doch zumindest hier alles beim Alten geblieben. Mit Kompass zur Sonne hat das Berliner Septett sein bereits 13. Album vorgelegt, dass, wie seine Vorgänger, bei Vertigo / Universal Music erschienen ist.
Was steckt drin?
Das Album mit seinen 12 Tracks wird in verschiedenen Ausführungen veröffentlicht. Digital als Download (die Grundlage dieser Rezension) oder Stream. Hinzu kommt eine reguläre CD sowie eine Doppel-Vinyl-Ausgabe. Der etwas anspruchsvollere Musikfreund kann außerdem noch auf die Deluxe-Edition zurückgreifen. Diese kommt im Design eines Hardcover-Buches mit Begleittexten und zwei zusätzlichen Stücken. Die FanBox bietet dann das Rundum-Glücklich-Paket mit Flagge, Poster, Postkarten und Aufnehmer – einschließlich der Deluxe-Edition.
Was wird gespielt?
Den Anfang macht „Troja“, das man sich HIER als Video anschauen kann. Der erste Teil des Stückes präsentiert sich als gradliniger, schnörkelloser Rock mit einem Refrain, der zum Mitsingen (oder eher -gröhlen) einlädt. Die Sackpfeifen setzen etwas später ein und fügen sich nahtlos in den Rest der Instrumentierung ein. Mir fällt hier vor allem der Bass auf, der eine dominante Rolle einnimmt. Der Opener bringt die Hörer direkt auf Betriebstemperatur und spiegelt alles wieder, was In Extremo ausmacht.
Der Dudelsack tritt beim Titeltrack „Kompass zur Sonne“ in den Vordergrund, und liefert die eingängige Melodie. Die Rock-Sektion der Band sorgt dagegen für die notwendige Durchschlagskraft. Diese beiden Elemente bilden zusammen die Grundlage für die gewohnt knarzigen Vocals von Michael Rhein. Textlich dreht sich das Stück um Sehnsucht und Reisen – Konstanten im Schaffen der Band.
Da sieben Musiker anscheinend nicht genug sind, werden als Verstärkung bei „Gogiya“ die Wiener von Russkaja ins Studio geholt. Nach einem kurzen, trügerischen Balalaika-Intro prescht das Schlagzeug in halsbrecherischem Tempo voran. Glücklicherweise gibt es einzelne ruhigere Passage, in denen die anderen Musiker aufholen können. Vor allem der Chor bleibt dabei im Gehörgang hängen und zwingt zum Mitnicken. Schließlich harmonieren (wenn man dieses Wort nutzen möchte) der Gesang von Georgij Makazaria und dem letzten Einhorn recht gut miteinander. Für mich eindeutig eines der Highlights auf dem Album! Zurück zu den mittelalterlichen Wurzeln der Band geht es mit „Salva Nos“. Allerdings bleibt von den zarten, fragilen Klängen der meisten Interpretationen nicht mehr viel übrig. Sowohl was Geschwindigkeit als auch Härtegrad angeht, stellt diese Version alle mir bekannten in den Schatten. Flöten und Schellen sorgen jedoch glücklicherweise dafür, dass der Charakter des Stückes erhalten und erkennbar bleibt.
Das „Narrenschiff“ liefert dann sogar ein wenig Stoff zum Grübeln. Der nachdenkliche, gar melancholische Text steht im Kontrast zur treibenden Musik. Rock und Mittelalter wechseln sich hier ab, bis sie im letzten Drittel des Tracks miteinander verschmelzen. Auffällig ist dabei eine der wenigen Keyboardpassagen des Albums – die sich für mich jedoch wie ein Fremdkörper anfühlt. Mit dem „Biersegen“ geht die Band zurück ins finstere Mittelalter. Dudelsäcke, lateinische Texte, ein eingängiger Rhythmus und dies unterlegt mit rockigen Akzenten. Der Track vereint für mich alles, für das In Extremo steht und was die Musik des Septetts ausmacht. Eindeutig mein Lieblingsstück auf dem Album und wahrscheinlich ein künftiger Standard auf der Bühne.
Der letzte offizielle Track des Albums, das „Wintermärchen“ zeigt die Band von einer ungewohnt ruhigen Seite. Spärlich instrumentiert rezitiert Michael Rhein den Text eher, als dass er ihn singt. Ein schöner, beinahe besinnlicher Schlusspunkt des Albums. Und wenn der Hörer sich bereits in Sicherheit wiegt, dürfen alle Musiker noch einmal zeigen, was sie können. Das Finale des Stücks bäumt sich rockig auf, die Grundstimmung bleibt jedoch erhalten.
Gehört die CD in den Player?
Auch gut 25 Jahre nach ihrem Debüt habe ich nicht den Eindruck, dass die sieben Musiker müde oder gar altersmilde geworden sind. Kompass zur Sonne rockt auf hohem Niveau und bietet die bewährte Kombination aus mittelalterlichen und modernen Klängen. Auf großartige Innovationen verzichten In Extremo weitgehend, was für mich aber in diesem Fall kein wirkliches Manko darstellt. Jedes Stück funktioniert für sich genommen hervorragend, aber auch im Kontext des gesamten Albums. Thematisch stehen Reiselust, Freundschaften und das Meer im Mittelpunkt – meist bei ausgelassener Stimmung. Einige Stücke, beispielsweise der Opener, „Saigon und Bagdad“ oder die großartige Ballade „Schenk nochmal ein“, zeigen die Band dagegen von einer aggressiven, politischen oder aber auch melancholischen Seite. Schwache Lieder habe ich vergeblich gesucht – einzig die Crowls von Johan Hegg bei „Wer kann segeln ohne Wind“ fand ich überflüssig. Ansonsten liefert die Platte den passenden Soundtrack für Mittelaltermärkte, einschlägige Clubs oder für die ausgelassene Grillparty.
Die Produktion ist sauber – einzelne Instrumente lassen sich meist eindeutig erkennen. Auch der charakteristische Gesang kommt klar aus den Boxen. Allerdings hätte ich eine etwas rauere, ungeschliffene Abmischung bevorzugt, dies wäre dem Stil der Band wahrscheinlich zugutegekommen.
Wer mehr über In Extremo wissen möchte findet auf der Homepage der Band Tour-Termine, Musik und Fotos. Auch das Label Vertigo/Universal hat einige Informationen parat.
Mit Kompass zur Sonne bleibt die Band ihrem mittlerweile unverkennbaren Stil treu und liefert ein durchweg gelungenes Album ab.