Kategorie: Rollenspiel
Autor: Jokin Garcia, Luis Barbero, Manuel J. Sueiro, Ricardo Dorda
Zeichner: Borja Pindado Arribas, Javier Charro, Marga Donaire
Entwickler: Nosolorol Ediciones
Verlag / Publisher: Truant Spiele
Genre: Historisch, Horror, Kooperativ, Rollenspiel
Serie: Unaussprechliche Kulte
Erscheinungsdatum: 01.07.2020
Sprache: Deutsch
Es ist bereits einige Jahre her, dass ich auf der DreieichCon am Stand von Truant Spiele einen Blick auf die ersten Übersetzungen zum spanischen Rollenspiel Cultos Innombrables werfen konnte. Die Fertigstellung hat sich dann jedoch etwas länger hingezogen als erwartet. Schließlich hat der Mainzer Verlag im Sommer 2020 Unaussprechliche Kulte auf dem heimischen Markt veröffentlicht. Der Band ist in einer Hardcover-Ausgabe oder digital als PDF-Datei erhältlich. Außerdem gibt es noch eine, auf 250 Exemplare limitierte, Black Book-Variante, die Gegenstand dieser Rezension ist.
Um was geht es?
Der gut 290 Seiten starke Band teilt sich in neun Kapitel auf. Zwischen den Kapiteln finden sich zehn Kurzgeschichten, die dem Leser einen Eindruck in den Spielhintergrund geben.
Das erste Kapitel liefert eine allgemeine Erklärung zum Konzept von Rollenspielen und geht näher auf den Cthulhu-Mythos von H.P. Lovecraft ein. Außerdem bekommt der Leser hier eine Zusammenfassung der Besonderheiten von Unaussprechliche Kulte. Der zentrale Punkt: Im Gegensatz zu anderen Spielen vor dem gleichen Hintergrund versuchen die Charaktere nicht (ausschließlich) die Machenschaften finsterer Kultisten zu vereiteln. Stattdessen sind sie selbst die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft. Ihre Motivationen können durchaus ein weites Feld abdecken, beispielsweise die Erlangung von Wissen, Macht oder Magie. Aber auch die Befriedigung niederer Triebe oder die Verehrung unheiliger Götzen kann im Mittelpunkt des Kultes stehen.
Der Charaktererschaffung widmet sich das zweite Kapitel. Diese geht recht gradlinig vonstatten – zuerst überlegt sich der Spieler ein Konzept für seinen Charakter. Beispiele wären hier eine inzestuöse Farmerin, ein Ökoterrorist, die harmlose Antiquitätensammlerin oder der glücklose Junkie. Auf vier Attribute (Stärke, Reflexe, Wille, Intellekt) werden Punkte verteilt, aus denen sich wiederum weitere Werte wie Verteidigung, Initiative oder Stabilität generieren. Ebenfalls zur Erschaffung gehören vier Meilensteine. Diese stellen herausragende Ereignisse im Leben des Charakters dar. Weitere Punkte werden auf die Fertigkeiten verteilt.
Symbole stehen dabei für unterschiedliche Kategorien, beispielsweise Sportlichkeit, Interaktion, Bildung oder Kampf. Den Spielern ist dabei freigestellt, wie weitläufig oder konkret sie ihre Fertigkeiten fassen. Drama-Punkte ermöglichen es den Charakteren, Fähigkeiten zu aktivieren oder deren Aktivierung zu verhindern. Zusätzlich können sie damit Attribute und Fähigkeiten verbessern. Eine persönliche Schwäche, beispielsweise Abhängigkeit oder geistige Umnachtung, sowie ein typisches Zitat runden den Charakter ab. Sechs Beispielcharaktere komplettieren dieses Kapitel.
Die Regeln, und damit der Kern des Rollenspiels, werden im dritten Kapitel behandelt. Unaussprechliche Kulte nutzt das „Hitos-System“, eine Eigenentwicklung des spanischen Verlages Nosolorol. Im Zentrum des Systems stehen drei zehnseitige Würfel, die bei jedem Wurf zum Einsatz kommen. Der Spielleiter legt die Schwierigkeit einer Aktion fest – der Spieler wirft die Würfel. Im Regelfall nimmt er den mittleren Wert, addiert das passende Attribut und die Fähigkeit hinzu. Erreicht oder übertrifft er die Schwierigkeit, ist die Aktion gelungen. Die Würfel mit dem höheren oder tieferen Ergebnis kommen dagegen in manchen Spielsituationen zum Einsatz. Gelegentlich wird im Spiel auf vergleichende Proben zurückgegriffen, wobei das höhere Gesamtergebnis gewinnt. Ein Spieler kann zudem Aspekte des Charakters, im Prinzip alles, was auf seinem Bogen steht, aktivieren. Dafür setzt er einen Drama-Punkt ein und erhält situationsabhängige Vorteile. Beispielsweise kann er ein eigenes Wurfergebnis verbessern, das des Spielleiters verschlechtern oder aber nützliche Kontakte haben.
Die Kampfregeln nutzen ebenfalls das gleiche System. Um beispielsweise eine erfolgreiche Attacke auszuführen, muss der Charakter mit Kampfwert, Reflexen und dem Wurf den Verteidigungswert des Gegners mindestens erreichen. Entsprechend der gewählten Waffe verursacht er anschließend Schaden. Werden die Charaktere mit Grauen erregenden Aspekten des Spiels konfrontiert, müssen sie eine Probe auf ihre Stabilität ablegen. Dafür wird der Wert für Entschlossenheit mit einem Wurf addiert. Je nach Ergebnis hat dies meist Auswirkungen auf die geistige Gesundheit des Charakters – was bis zum völligen Wahnsinn reichen kann.
Im vierten Kapitel gehen die Autoren auf den Hintergrund ein. Der Leser erfährt hier die wichtigsten Dinge über die Großen Alten, den Cthulhu-Mythos oder die Traumlande. Außerdem gibt es hier eine Zeitleiste von den frühesten Anfängen des Sonnensystems bis ins Jahr 2014. Auch ein Ausblick in die Zukunft darf nicht fehlen – beispielsweise wird hier das grausame Reich von Tsan Chang im Jahr 5.000 erwähnt. Abgeschlossen wird das Kapitel durch Gerüchte, die sich um verschiedene Aspekte des Mythos ranken und die der Spielleiter in den Hintergrund einbauen kann.
Folgerichtig widmen sich das nächste Kapitel dann auch den Kreaturen des Mythos. Hier teilen sich die Einträge in zwei Kategorien auf. Gottheiten erhalten eine kurze Hintergrundgeschichte, eine Beschreibung ihrer Kulte und Anhänger und ihren Einfluss auf die Spielwelt. Für die Kreaturen und Mythos-Rassen gibt es dagegen einen kurzen Überblick, ihre Motivation und die Handlungsweisen. Spielwerte finden hier ebenfalls ihren Platz. Dieses Kapitel deckt einen Großteil der Wesen ab, die in den „klassischen“ Geschichten von Lovecraft erwähnt werden.
Das sechste Kapitel widmet sich einem Grundkonzept des Spiels – dem eigentlichen Kult. Hier erfahren die Leser alles Nötige, um ihren eigenen Kult mit Leben zu füllen. Entgegen der gängigen Vorstellung muss dieser nicht zwangsläufig Menschenopfer darbringen und Mythos-Gottheiten erwecken. Unaussprechliche Kulte erlaubt hier eine viel differenziertere Herangehensweise. Ähnlich wie ein Charakter verfügt auch ein Kult über verschiedene Attribute. In diesem Fall sind es Ressourcen, Einfluss, Wissen und Größe. Auf einem separaten Bogen können die Spieler ihren Kult weiter definieren. So unter anderem die Ziele festlegen, eine Hierarchie skizzieren und Verbündete und Gegner auflisten. Eine ganze Reihe von Beispielkulten dient als Inspiration, und bieten dem Spielleiter einen Grundstock für kommende Abenteuer.
Einen wichtiger Teil des Spiels ist die Magie, der sich das folgende Kapitel widmet. Hier findet sich eine ganze Reihe von Zaubern, magischen Gegenständen und Mythos-Büchern. Die Beschreibung umfasst einen kurzen Hintergrundtext und die spielrelevanten Effekte. Der Einsatz vieler Dinge aus diesem Kapitel wirkt sich negativ auf den Charakter aus. Dies wird im Spiel als „Degeneration“ bezeichnet und verändert die Figur körperlich wie auch geistig.
Auf die Rolle des Spielleiters wird im achten Kapitel eingegangen. Einige allgemeine Hinweise zur Leitung von Rollenspielrunden bilden die Grundlage. Die Autoren gehen hier detaillierter auf die Besonderheiten des Systems und den Ablauf einer Spiele-Session ein. Der Einsatz von vorgefertigten und selbst geschriebenen Abenteuern, das Spielen einer Kampagne und die verschiedenen Spielstile werden ebenfalls näher beleuchtet. Hinweise zum Entwurf von Kulten, Antagonisten und Monstern sind Teil des Kapitels. Eine Tabelle, mit der sich Kreaturen aus beispielsweise H.P. Lovecrafts Cthulhu konvertieren lassen ist auch vorhanden.
Das letzte Kapitel besteht aus zwei Abenteuern, um das neue System direkt auszuprobieren. Beide sind in der Gegenwart angesiedelt und nur bedingt ortsgebunden. In „Die Luveh-Kerapf-Verschwörung“ sind die Spieler (noch normale) Mitglieder in einem Online-Forum, welches sich auf Verschwörungstheorien spezialisiert hat. Ein Forumsmitglied erregt mit Recherchen die Aufmerksamkeit eines mächtigen Kultes, der um seine Geheimnisse besorgt ist. Im Verlauf des Abenteuers müssen die Charaktere lernen, dass es sich nicht bei allen Verschwörungstheorien um harmlose Spinnereien handelt. Dies kann am Ende dazu führen, dass sie sich mit dem neugewonnenen Wissen selbst zu einer Kultistenzelle zusammenschließen. Bei „Dein Schmerz, Ihm zu Ehren“ gehen die Charaktere dem Verschwinden einiger Personen aus fahrenden U-Bahn-Waggons nach. Die Spuren führen zu einem rivalisierenden Kult und dessen mordgierigem Götzen. Hier ergeben sich verschiedene Vorgehensweisen, abhängig von den Zielen und der Motivation der Charaktere.
Kopiervorlagen für Charakter- und Kultbogen, sowie ein Index runden den Band ab.
Gehört der Band in die Sammlung?
Alleine die Grundidee von Unaussprechliche Kulte macht das Spiel für mich sehr reizvoll. Öfters verwischen bei meiner gewöhnlichen Cthulhu-Rollenspiel-Runde die Grenzen zwischen Gut und Böse. Mit diesem System lässt sich dieser Aspekt viel weiter ausbauen. Die Regeln sind dabei locker gefasst, so dass es nur wenig Einschränkungen gibt. Für den Spielleiter ist es daher nahezu problemlos möglich, Abenteuer aus anderen Systemen zu nutzen. Auch die Wahl von Setting oder Epoche unterliegt nur wenigen Einschränkungen. Der Einsatz des „Hitos-Systems“ ist zu Anfang gewöhnungsbedürftig, auch die Fertigkeiten mit ihren Symbolen erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Das Kampfsystem wirkt etwas holprig, geht aber mit zunehmender Erfahrung leichter von der Hand. Generell hätte ich mir jedoch einige Übersichtstabellen mit beispielsweise Grundschwierigkeiten und Modifikatoren gewünscht. So sind die Informationen über mehrere Stellen im Buch verteilt und nicht auf einen Blick verfügbar.
Die Aufmachung des Bandes lässt rein gar nichts zu wünschen übrig. Das Layout ist übersichtlich und wird durch zahlreiche Illustrationen und Textkästen immer wieder aufgelockert. Grade die Zeichnungen sind es, die viel zur Spielatmosphäre beitragen und den Spielern ein (manchmal verstörendes) Bild des Settings vermitteln. Übersetzung und Lektorat geben ebenfalls keinen Grund zur Beanstandung und tragen so zu dem sehr guten Gesamteindruck bei.
Einen ausführlichen Einblick in den Band gibt es auf der Homepage von Truant Spiele. Dort steht auch der Charakterbogen als Download bereit – außerdem gibt es eine übersichtliche Zusammenfassung der Besonderheiten des Systems. Wer einen Ausblick auf kommende Publikationen haben möchte, sollte beim spanischen Verlag Nosolorol vorbei schauen.
Unaussprechliche Kulte – Black Book ermöglicht es den Spielern, den Cthulhu-Mythos aus einem völlig anderen Blickwinkel zu betrachten.