Kategorie: Rollenspiel
Autor: Petter Nallo, Robin Liljenberg
Entwickler: Helmgast
Verlag / Publisher: Truant Spiele
Genre: Horror
Serie: Kult
Altersempfehlung: ab 18 Jahren
Erscheinungsdatum: 01.06.2022
Sprache: Deutsch
Als ich vor nunmehr einigen Jahrzehnten mit dem Rollenspiel begann, gab es auf dem deutschen Markt nicht so viel Auswahl wie heute und auch die Möglichkeiten, sich zu informieren, waren auf den lokalen Handel beschränkt. Im Horror-Genre war vor allem H.P. Lovecrafts Cthulhu, das sich bis heute als eines der erfolgreichsten Rollenspielsysteme hält, weit verbreitet und bot wenig Platz für andere aufstrebende Systeme. Heute ist das zum Glück anders und auch kleinere Systeme finden ein breiteres Publikum. Eines davon ist Kult – Die Verlorene Göttlichkeit.
Kult – die verlorene Göttlichkeit: Liebe auf den ersten Blick?
Möchte man im Horror-Genre auffallen, ist es besonders hilfreich, wenn bereits Äußerlichkeiten den Blick auf sich ziehen. Kult – die verlorene Göttlichkeit schafft das direkt auf Anhieb. Die Covergestaltung macht nicht nur neugierig, sie ist wunderschön anzusehen und lässt erahnen, welcher Schrecken, aber auch welche Schönheit sich im Regelwerk befinden müssen. Ein Blick hinein macht umso neugieriger auf das System, denn der Stil des Covers zieht sich durch den gesamten Inhalt des Buches.
Ein Blick auf die Details zeigt allerdings auch einige Schwächen des sonst sehr gelungenen Designs. In der Regel präsentiert sich der Text in hell auf dunklem Grund oder in Dunkel auf hellem Grund. Es gibt allerdings auch einige Ausnahmen, immer dann, wenn die Schrift sich in einem blutrot vom dunklen Grund versucht abzuheben. Das gelingt nicht unbedingt immer gut, weshalb diese Passagen, schwerer zu lesen sind. Als weitere Zierfarbe kommt Gold zum Einsatz, das sich metallisch glänzend von dem sonst matten Papier hervorhebt. Auch einige Überschriften sind mit dem Gold als Hintergrundfarbe gestaltet. Es empfiehlt sich, das Regelwerk bei gutem Licht zu studieren, ansonsten reflektiert das Licht auf diesen glänzenden Flächen und überblendet den Text. Ein Manko, dass nur beim gedruckten Regelwerk auffällt und nur an wenigen Stellen auftritt, weshalb es höchstens zu Punktabzügen in der B-Note führt.
Das Regelwerk von Kult
Die Unterteilung des Regelwerks in drei Bücher – Die Lüge, Der Wahnsinn und Die Wahrheit – ist mehr als nur eine Form der Strukturierung. Sie spiegelt den philosophischen und psychologischen Unterbau des Spiels wider. Diese Bücher führen den Leser schrittweise tiefer in die düstere und verstörende Welt von Kult.
Buch I: Die Lüge: Das erste Buch führt in die Illusion der Realität ein, die die Spielercharaktere und die Menschheit gefangen hält. Die Charaktererschaffung ist detailliert und bietet eine Vielzahl von Optionen, die es den Spielern ermöglichen, tief in ihre Rollen einzutauchen.
Buch II: Der Wahnsinn: Das zweite Buch richtet sich an die Spielleiter und bietet eine Fülle von Werkzeugen und Tipps, um die düstere Atmosphäre und den psychologischen Horror des Spiels zu vermitteln. Die Leitfäden zur Szenario-Konstruktion sind besonders wertvoll, da sie nicht nur praktische Ratschläge bieten, sondern auch inspirierende Ideen, wie man die Spieler in den Wahnsinn treiben kann – natürlich im metaphorischen Sinne.
Buch III: Die Wahrheit: Im dritten Buch wird die Illusion zerbrochen und die wahre Natur der Spielwelt enthüllt. Die detaillierten Informationen über die okkulten Hintergründe, die dunklen Mächte und die verlorene Göttlichkeit bieten einen reichen Fundus an Material für tiefgehende und komplexe Geschichten. Die speziellen Regeln, die hier vorgestellt werden, vertiefen das Spiel und bieten zusätzliche Ebenen der Herausforderung und des Grauens.
Die Illusion durchbrechen – Die Spielwelt
Die Menschheit lebt in einer Welt, die als „Die Illusion“ bezeichnet wird. Diese Illusion ist eine Art Schleier, der die wahre Natur der Existenz vor den Menschen verbirgt. In dieser scheinbar normalen Welt gibt es Städte, Länder, moderne Technologie und alltägliche Probleme.
Hinter der Illusion existieren aber uralte, vergessene Götter und dämonische Wesen, die einst über die Menschheit herrschten. Diese Entitäten wurden durch die Schaffung der Illusion verdrängt, sind aber keineswegs besiegt. Sie sehnen sich danach, die Illusion zu durchbrechen und ihre Herrschaft wiederherzustellen.
Die Spielercharaktere sind in der Regel Menschen, die aus verschiedenen Gründen in die Geheimnisse der Welt von „Kult“ hineingezogen wurden. Sie könnten Ermittler, Künstler, Wissenschaftler oder einfach normale Bürger sein, die auf das Übernatürliche gestoßen sind. Ihre gemeinsame Bestimmung ist es, die Wahrheit hinter der Illusion zu entdecken und sich den dunklen Mächten zu stellen, die die Menschheit bedrohen.
Die Charaktere in Kult
Bei der Charaktererschaffung wählt der Spieler zunächst einen Archetypen, der eine grundlegende Persönlichkeit und Hintergrundgeschichte des Charakters bietet. Zu jedem Archetyp gehört ein bestimmter Beruf, der frei wählbar ist.
Weiterhin gehören zum Charakter ein oder mehrere dunkle Geheimnisse, zwei Nachteile und drei Vorteile. Dunkle Geheimnisse sind Ereignisse aus der Vergangenheit des Charakters. Im Verlauf der Geschichte gelangen sie an die Oberfläche, treiben den Charakter an oder suchen ihn heim. Jeder Charakter sollte mindestens eines, darf aber auch mehrere dunkle Geheimnisse haben.
Nachteile sind zerstörerische Charaktermerkmale, die entweder psychologische oder physische Bedrohungen für den Charakter darstellen. Jeder Charakter beginnt mit zwei Nachteilen, im Verlauf des Spiels können diese sich aber auch ändern oder neue hinzukommen.
Vorteile sind einzigartige Fähigkeiten des Charakters. Zu Beginn des Spiels hat jeder Charakter drei Vorteile, mit steigender Erfahrung kann er neue dazugewinnen. Die meisten Vorteile beziehen sich auf eine der sieben aktiven Eigenschaften des Charakters (Charisma, Coolness, Gewalt, Intuition, Seele, Vernunft und Wahrnehmung). Es gibt allerdings auch Vorteile ohne assoziierte Eigenschaft.
Jeder Charakter verfügt über zehn Eigenschaften, davon sind drei passiv (Reflexe, Willenskraft und Zähigkeit) und sieben (bereits oben genannt) aktiv. Bei der Charaktererschaffung werden diese Eigenschaften mit Werten zwischen -2 und +3 ausgestattet.
Die Regeln
Die Kernmechanik des Rollenspiels Kult basiert auf zwei zehnseitigen Würfeln (W10). Insgesamt gibt es drei Level an Ergebnissen, die man erwürfeln kann: 15 und höher bedeutet, dass der Wurf ein Erfolg ist. Ein Würfelergebnis zwischen 10 und 14 ist ebenfalls ein Erfolg, zieht aber Konsequenzen nach sich. Würfelergebnisse unter 10 sind Fehlschläge. Die verschiedenen Modifikationen, die bei der Charaktererstellung gewählt wurden, wirken sich jedoch auf die Würfelergebnisse – positiv, aber auch negativ – aus.
Mit dem Spielverlauf blicken die Charaktere immer wieder hinten den Schleier, nehmen Dinge neu und anders wahr und erfahren so immer mehr, was die echte Realität ist. Jedes Mal, wenn dies passiert, gewinnen die Charaktere Erfahrungspunkte, die sie in die Modifikation ihrer Werte investieren können.
Fazit
Kult – die verlorene Göttlichkeit bietet eine atmosphärische Welt voller Grauen und Faszination. Die kurzen Regeln sind schnell verinnerlicht und behindern nicht beim intensiven Erzählspiel. Das Layout des Regelwerks ist schön anzusehen und das Buch selbst bietet alle Informationen, die zum Spielen benötigt werden. Die Charakterblätter im Anhang sind übersichtlich, fast schon nüchtern und schnörkellos, bieten aber auf einer Doppelseite genug Platz für die Werte des Charakters. Insgesamt ist hier also alles vorhanden, was das Horror-Herz begehrt. Doch auch etwas Vorsicht darf geboten sein, denn Kult ist tatsächlich nichts für jedermann. Der erste Text im Buch ist nicht umsonst eine Warnung: Dieses Buch behandelt Themen für Erwachsene, der Inhalt befasst sich mit psychischem und physischem Horror unterschiedlichsten Ausprägungen. Bevor man also mit dem Spielen startet, ist es sinnvoll, persönliche Grenzen festzustecken und mit der Spielleitung abzusprechen. Wer sich jedoch hineinwagt, den kann ein intensives Rollenspielerlebnis erwarten.