Das grausame Reich Tsan Chan

28.01.2021 von Marcus Pohlmann

Das grausame Reich Tsan Chan

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Erscheinungsdatum: 01.12.2020

Sprache: Deutsch

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An unterschiedlichen Settings für das Cthulhu-Rollenspiel herrscht sicherlich kein Mangel. Allerdings sind diese zumeist in der Vergangenheit oder Gegenwart angesiedelt. Das grausame Reich Tsan Chan führt den Leser dagegen einige tausend Jahre in die Zukunft. Die Großen Alten sind erwacht und haben, wie H.P. Lovecraft es in Der Ruf des Cthulhu beschrieben hat, der Menschheit neue Wege gezeigt zu schreien, zu töten und sich in Lust zu ergehen. Einzig Das grausame Reich Tsan Chan hat sich Cthulhus Einfluss widersetzt. Es bildet (in gewissem Sinn) eine letzte Bastion von Vernunft und Ordnung in der dystopischen Zukunft. Pegasus Press haben bei dieser Veröffentlichung auf eine Monographie von Chaosium zurückgegriffen und um ein eigenes Abenteuer ergänzt.

Um was geht es?

Etwas mehr als die Hälfte des gut 150seitigen Hardcover-Bandes ist der Beschreibung des Settings und der dazugehörigen Regeln vorbehalten. Der Rest besteht aus dem Abenteuer „Stillwater Rapids“, dass den Charakteren einen Einstieg in den Hintergrund bietet.

Das erste der sieben Kapitel geht auf die Ereignisse ein, die zur Entstehung des Reiches geführt haben. Der Große Cthulhu und die anderen seiner Art sind erwacht und haben die Menschheit in den Wahnsinn getrieben. Die „Träumer“ sind wenig mehr als kannibalische Wilde, die einzig ihren Trieben gehorchen. Nur die todlosen Bewohner der Hochebene von Leng, eigentlich Anhänger der Großen Alten, konnten sich mit Hilfe Nyarlathoteps gegen diese Träume schützen. Im zentralen China haben sie ihr Reich errichtet – gesichert durch Magie, außerirdische Technik und eine gewaltige Armee. Gefechte gegen die wahnsinnigen Träumer, aber vor allem auch Mythos-Kreaturen wie Tcho-Tcho und Tiefe Wesen gehören zur Tagesordnung. Pakte mit Schlangenmenschen, Ghoulen und Älteren Wesen bieten dagegen Sicherheit und Schutz.

„Der Weg“ ist Inhalt des zweiten Kapitels. Dabei geht es weniger um die später beschriebene geistige Disziplin, sondern um die Gesellschaftsstruktur des Reiches. An der Spitze steht die Imperatorin; ein Hybrid aus Mensch und Gottheit. Zu kolossaler Größe aufgebläht ist sie zu keiner gezielten Interaktion fähig. Eunuchen, die Angehörigen der Adelshäuser und die Todlosen, die eigentlichen Gründer des Reiches, ringen um Macht und Einfluss. Das Militär sorgt für die Sicherung der Grenzen und bildet den Kern von Expeditionen, während die „Traumlosen“ alle Arbeiten vernichten. Für die herrschenden Klassen ist diese normale Bevölkerung wenig mehr als Material, das zur Erreichung ihrer Ziele und dem Vergnügen dient. Neben diesen allgemeinen Beschreibungen geht der Autor näher auf die verschiedenen Adelshäuser und Gruppierungen ein. Einschübe stellen herausragende Persönlichkeiten vor. Ebenso finden hier die verbündeten Mythos-Rassen und -Gottheiten Erwähnung.

Im dritten Kapitel bekommt der Leser einen Überblick der besonderen Orte innerhalb des Reiches. Ein Rundgang durch die Befestigungsanlagen, die vor äußeren Bedrohungen schützen und ein Abstecher in die Überreste von Shanghai gehören zum Inhalt. Auch werden verschiedene außergewöhnliche Bauwerke wie Klöster und Türme vorgestellt. Ergänzt wird dieses Kapitel durch einige Abenteuerideen.

Viel technologisches Wissen ist in den Jahrtausenden verloren gegangen. So setzt sich das vierte Kapitel mit den neuen Errungenschaften der verbliebenen Menschen auseinander. Die Überreste der Vergangenheit werden zwar genutzt, aber nicht wirklich verstanden. Dafür kommen neue Technologien der Älteren Wesen und magische Konstrukte der Schlangenmenschen zum Einsatz. Das Kapitel beschränkt sich dabei auf eine grobe Beschreibung der Funktionsweise und verzichtet auf einen expliziten Regelteil.

Über die Grenzen des Reiches hinaus geht es im fünften Kapitel. Tsan Chan unterhält verschiedene Außenposten, beispielsweise in der Antarktis oder in Kairo. Der Rest des Globus wird von den Träumern oder Mythos-Rassen kontrolliert. So ist die Ostküste Nordamerikas unter der Kontrolle der Tiefen Wesen, während sich die Schoggothen am südlichen Polarkreis ausbreiten. Die Traumlande finden ebenfalls eine kurze Erwähnung. Beschreibungen der verschiedenen Kreaturen mit ihren Zielen und Besonderheiten haben hier auch ihren Platz. Wie bereits im dritten Kapitel gibt es einige Grundideen für Abenteuer und weitere Ansätze für den Spielleiter.

Wurden in den vorangegangenen Kapiteln jeglicher Bezug zu den Regeln vermieden, widmet sich der sechste Abschnitt der Erschaffung der Charaktere und den Besonderheiten des Settings. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf „dem Weg“ – einer Art Philosophie oder Doktrin. Diese erlaubt es den Charakteren in der feindlichen Umgebung zu existieren und zu funktionieren. Ähnlich wie die geistige Stabilität verringert sich der Wert durch traumatische Ereignisse. Ein Wert in diesem Attribut ermöglicht es den Spielern wahnsinnige Charaktere zu steuern. Ansonsten unterscheiden sich die Regeln nur marginal von bekannteren Settings – einzig die Berufswahl ist auf Tsan Chan und dessen Besonderheiten angepasst.

Das letzte Kapitel bietet dem Spielleiter Abenteuerideen und Kampagnenansätze. Diese teilen sich in verschiedene Kategorien auf, beispielsweise Reisen oder Ermittlungen. Andere wiederum nehmen Bezug auf die Rassen und Gruppierungen, die sich in dem Setting tummeln. Außerdem stellt der Autor einige herausragende Nichtspielercharaktere vor, beschränkt sich dabei allerdings nur auf wenige Zeilen.

Den Abschluss bildet das Abenteuer „Stillwater Rapids“ von Christoph Beeke. Dieses führt die Charaktere in das namensgebende Städtchen im Jahr 2019 – so scheint es zumindest. Wie und aus welcher Epoche sie dorthin gelangt sind, ist dabei zweitrangig. Die gutbürgerliche Fassade der Kleinstadt zeigt schnell Risse und wirft Fragen auf. Die Antworten darauf zu finden ist die Hauptaufgabe der Charaktere. Dass sie dabei nur wenig mehr als Versuchskaninchen in einem großangelegten Experiment sind, zeigt sich erst gegen Ende des Abenteuers. Vier vorgefertigte Investigatoren stehen für die Spieler zur Verfügung – aber auch eigene Charaktere können verwendet werden.

Gehört der Band in die Sammlung?

Ich bin mir sehr sicher, dass Das grausame Reich Tsan Chan das „klassische“ Setting in der Spielergunst nicht ablösen wird. Allerdings finde ich den dystopischen Ansatz und die Ausführung durchaus gelungen. Trotz des relativ geringen Umfanges liefert der Band ausreichende Informationen und Abenteueransätze, die es dem Spielleiter ermöglichen, einzelne Abenteuer oder gar eine kurze Kampagne dort anzusiedeln. Dabei dürfte sich der Arbeitsaufwand in einem überschaubaren Rahmen halten. Die Angaben sind vage genug, so dass im Zweifelsfall improvisiert werden kann. Außer dem „Weg“ gibt es kaum Regeländerungen und die Spieler sollten keine Probleme haben sich anzupassen. Der Hintergrund von Tsan Chan lässt sich kaum mit den bisherigen Veröffentlichungen vergleichen – was aber durchaus reizvoll ist. Sehr gelungen finde ich, dass einzelne Nebensätze und Andeutungen aus den Geschichten Lovecrafts aufgegriffen und ausgeschmückt werden. Für den Leser bringt dies mehr Tiefgang in das Setting und sorgt für manchen Wiedererkennungseffekt.

Für die Spieler unterscheidet sich „Stillwater Rapids“ auf den ersten (und auch zweiten) Blick kaum von einem Abenteuer in der cthuloiden Gegenwart. Erst im späteren Verlauf werden die Zusammenhänge aufgedeckt und die Charaktere begreifen, wo sie sich befinden. Insgesamt bietet das Abenteuer eine solide Mischung aus Action und Ermittlung und lässt den Spielern genug Freiräume.
Wie gewohnt ist die Gestaltung des Bandes pragmatisch, aber dennoch hübsch anzuschauen. Auffällig ist dabei der völlige Verzicht auf Fotos – auch Illustrationen sind verhältnismäßig rar. Im Abenteuer-Abschnitt gleicht sich der Mangel dagegen etwas aus. Zudem kann der Spielleiter auf zahlreichen Hand-Outs zurückgreifen. Diese gibt es außerdem als Download auf dem digitalen Portal des Verlages. Übersetzung, Layout und Korrektorat haben wieder einen sehr ordentlichen Job gemacht und es gibt in dieser Hinsicht nichts zu beanstanden. Auch Druck und Weiterverarbeitung bewegen sich auf gewohnt hohem Niveau. Der Hardcover-Band wird dabei durch Prägung und Lesebändchen optisch zusätzlich aufgewertet.

Mehr Informationen zum vorliegenden Band und eine PDF-Version gibt es auf der Homepage von Pegasus Press. Der Link zu den Hand-Outs findet sich bereits weiter oben.

Das grausame Reich Tsan Chan bietet den Spielern ein außergewöhnliches Setting und liefert mit dem Abenteuer einen gelungenen, überraschenden Einstieg.

 

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