Welle: Erdball

14.05.2017 von Marcus Pohlmann

Welle: Erdball

Musiker: ,

Genre:

Veranstaltungsdatum: 06.05.2017

Veranstaltungsort: Schlachthof Wiesbaden »

Wenn Welle: Erdball die bundesdeutschen Clubs und Hallen mit einer neuen Sendung bespielen, machen sie regelmäßig Station im Rhein-Main-Gebiet. So weit ich mich zurück erinnern kann waren sie dabei immer in der Opelstadt Rüsselsheim (von einem kurzen Abstecher nach Bingen abgesehen) zu Gast. Auf ihrer aktuellen Vespa 50N Special Tour bricht die Band mit dieser langjährigen Tradition und tritt in der großen Halle des Wiesbadener Schlachthofs auf, um ihre neue EP Gaudeamus Igitur dem geneigten Hörer vorzustellen.

The Sexorcist eröffnen den Abend

The Sexorcist eröffnen den Abend

Im Gegensatz zu vielen anderen Musikern legt die Band Wert auf Pünktlichkeit und so betritt exakt um 20 Uhr das Duo The Sexorcist die Bühne um das Publikum auf den Hauptact einzustimmen. So richtig will dieses Unterfangen mit Stücken wie „Brandenburg“, „Tokio“ oder „Vegan“ jedoch nicht gelingen. Die harten Beats zusammen mit den expliziten, provokanten (und nicht ganz Ernst gemeinten) Texten kommen nicht übermäßig gut an – immerhin haben eine Handvoll Besucher vor der Bühne sichtlich Spaß. Der Rest des Publikums hat sich über die gesamte Halle verteilt, redet, trinkt, oder hat sich gleich ganz vor die Tür der Halle verzogen. Das gut 45minütige Set endet schließlich mit einer sehr eigenwilligen Interpretation des NDW-Klassikers „Skandal im Sperrbezirk“ – für mich das beste Stück der Vorband.

Kaum ist der letzte Ton verklungen räumen Chris L. und Gunnar Kreuz die Bühne, während die hauseigenen Techniker hektisch letzte Hand an die Verkabelung und die Bühnendekoration legen, damit es ohne größere Verzögerung weiter gehen kann.

Die Band kurz vor dem Start

Die Band kurz vor dem Start

Tatsächlich ist die Umbaupause in Rekordzeit abgeschlossen und Welle: Erdball machen sich für ihren großen Auftritt bereit. An den Bühnenrändern knattern fröhlich (nachdem die Startprobleme behoben sind) die beiden Vespas mit denen die vier Bandmitglieder, ganz im Sinne des Tourmottos, auf die Bühne fahren. Derweil läuft „Gaudeamus Igitur“, der Titeltrack der neuen EP aus den Boxen. Nachdem die Musiker ihre Positionen eingenommen haben und das Konzert traditionell mit „Funkbereit!“ einleiten, sehe ich im Publikum viele fragende Gesichter. Auch ich bin etwas verwirrt, stehen dort oben mit Honey und Lady Lila nur 50 Prozent der bekannten Besetzung. Doch statt einer Erklärung folgen „Vespa 50N Special“ und „Nur mit mir allein“ vom neuen Tonträger, bei denen sich Honey und Lady Lila am Mikrofon abwechseln. Bei „Nerdfaktor 42“ hat dann endlich der Commodore C64, das eigentliche Aushängeschild der Band, seinen Einsatz. Zum ersten Mal an diesem Abend kommt tatsächlich Bewegung ins Publikum – es ist auch schwer sich dem minimalen, aber eingängigen Rhythmus zu entziehen. Das folgende „Stirb mir nicht weg“ entstand im letzten Jahr Jahr im Rahmen eines Workshops auf dem Amphi-Festival und gedenkt im Intro der prominenten Toten des Jahres 2016. Erst danach liefert Honey eine Erklärung für das Fehlen der beiden Bandmitglieder und stellt gleichzeitig den Ersatz auf der Bühne vor. Sowohl A.L.F. als auch Fräulein Venus stehen für die laufende Tour aus familiären Gründen leider nicht zur Verfügung, stattdessen übernimmt Andy Berberich, normalerweise der Mann im Hintergrund, die Tastenarbeit, während Emma Peel für Mikrofon und Moderation zuständig ist.

Die Damen dürfen auch mal ans Mikrofon

Die Damen dürfen auch mal ans Mikrofon

Schon ein paar Jahre ist das folgende „Der Türspion“ alt, das vom Publikum trotzdem nach Kräften gefeiert wird und vor allem mit einer gelungenen optischen Präsentation unterhalten kann. „Die letzte Chance zu leben“ liefert eine sehr spezielle Mischung aus Alleinunterhalter-Keyboards, einem Bubble-Gum-Refrain und einem beinahe schlagerhaften Vortrag von Honey. Eine sehr gewöhnungsbedürftige Nummer, die sich aber unbestreitbar im Gehörgang festsetzt und den ganzen Saal zum Tanzen bringt. Ähnlich eingängig aber deutlich ruhiger, und für mich eines der Highlights von Gaudeamus Igitur, ist das von Lady Lila vorgetragene „L’inconnue de la Seine“. Es folgt das stampfende „20.000 Meilen unter dem Meer“, bei dem vor allem der Refrain hängen bleibt. Schließlich endet der erste Teil des Sets nach einer guten Dreiviertelstunde mit „FanFanFanatisch“, der wohl bisher tanzbarsten, druckvollsten Nummer des Abends. In der, leider nur halb vollen, Halle gibt es zu diesem Zeitpunkt eigentlichen niemanden mehr der still steht.

Die sich daran anschließende Pause dürfte die kürzeste sein, die ich jemals auf einem Konzert erlebt habe. Während die beiden Moderatorinnen von der Bühne gehen, stöpseln Andy und Honey einige (zu kurze) Kabel um und verschieben Instrumente. Schon nach handgestoppten zwei Minuten geht es wieder mit der Sendung weiter.

Ein stilsicheres Bühnenoutfit für "1000 Engel"

Ein stilsicheres Bühnenoutfit für „1000 Engel“

Ganz in weiß und mit aufblasbaren Flügeln betritt Lady Lila die Bühne um den zweiten Teil mit „1000 Engel“ zu eröffnen. Hier ist es vor allem die Optik die überzeugen kann; dem Stück selbst fehlt, wie ich finde, das gewisse Etwas. Nach diesem etwas ruhigeren Intermezzo ziehen Welle: Erdball das Tempo mit „Wir wollen keine Menschen sein“ wieder deutlich an. Treibende Beats, eine einfach gestrickte Melodie und den eingängigen Text – mehr braucht es nicht um gut 600 Leute zum Tanzen zu bringen. Die Hymne der Verschwörungstheoretiker, „23“, darf natürlich nicht fehlen, ebenso wie „Die Liebe der 3. Art“. Hier bekommt der treue C64 eine kurze Verschnaufpause während die komplette Musik zu dem Stück von einem Nintendo DS geliefert wird. Über 20 Jahre alt ist mittlerweile „Wo kommen all die Geister her“ – und für mich immer noch eines der besten Stücke der Band. Das Theremin, mit seinem extrem charakteristischen Klang, hat an diesem Abend einen Wackelkontakt und gibt stellenweise merkwürdige Geräusche von sich und auch der Text wurde in einigen Passagen den aktuellen technischen Gegebenheiten angepasst. Mittlerweile wird jedes Stück gefeiert und das komplette Publikum bewegt sich im Takt der Musik.
Ein Standard auf Konzerten der Band ist schon seit vielen Jahren „Schweben, fliegen, fallen“, bei dem die beiden Moderatorinnen riesige Bälle ins Publikum werfen, die sich zu begehrten Trophäen entwickelt haben. Die Stimmung ist zu diesem Zeitpunkt großartig, die Besucher singen lautstark mit und auch die Band hat sichtlich Spaß an dem Auftritt. Eine kurze Verschnaufpause gibt es mit dem Frühwerk „Ich bin nicht von dieser Welt“ und „Alles Lüge“ vom 2006er Album Chaos Total. Als ein Ölfass auf die Bühne gerollt wird jubelt der Saal, denn die erfahrenen Konzertgänger wissen, dass nun „Arbeit adelt“ folgt. Extrem eingängig und tanzbar ist dieses Stück ebenfalls schon seit Jahren völlig zu Recht ein Publikumsliebling. Während sich Honey ein wenig zurückzieht übernehmen Emma Peel und Lady Lila das Mikrofon und sorgen mit dem „8-Bit-Märchenland“ für eine dringend benötigte Ruhepause. Zwischen „VW Käfer“ und „Feuerwerk“ darf der Hinweis auf die obligatorischen Unterschriftenlisten und Spendenaktionen am Merchandise-Stand nicht fehlen. Schon seit Jahren unterstützt die Band den Deutschen Tierschutzbund e.V. und die SOS-Kinderdörfer, so auch bei diesem Auftritt in Wiesbaden.

Arbeit adelt - mit brachialer Percussion

Arbeit adelt – mit brachialer Percussion

Nach knapp zwei Stunden kündigt Honey das baldige Ende des Konzertes an, allerdings wäre so ein kurzer Auftritt ungewöhnlich für die Band. Als dann der Sound von Triebwerke aus den Boxen dröhnt ist es Zeit für „Starfighter F-104g“, ein weiterer Fixpunkt bei den Auftritten. Während Papierflieger von der Bühne ins Publikum fliegen, werden in der Halle die letzten Reserven mobilisiert und ausgelassen getanzt. Anscheinend hat die Band immer noch Lust zu spielen und diesem vermeindlich letzten Stück folgt das von mir sehr geschätzte, zuckersüße „Poupée de Cire“ bei dem wieder Lady Lila das Mikrofon übernimmt. „Graf Krolok“, „Deutsche Liebe“ und das lautstark geforderte „Monoton & Minimal“ müssen ebenfalls gespielt werden, obwohl Honey jedes Lied als das wirklich allerletzte ankündigt. Schließlich geht die Sendung dann doch zu Ende und Welle: Erdball verabschieden sich mit „Es geht voran“ dann tatsächlich nach „nur“ 2 1/2 Stunden in den Backstage-Bereich.

Nach gut 2 1/2 Stunden endlich Feierabend

Nach gut 2 1/2 Stunden endlich Feierabend

Meist folgen die Konzerte von Welle: Erdball einem bestimmten Schema und auch dieser Auftritt im Schlachthof in Wiesbaden sollte dabei keine Ausnahme bilden. Der erste Teil des Sets konzentrierte sich weitgehend auf das Material der neuen Sendung, während der zweite, deutlich längere Teil einen Querschnitt durch das beinahe 25jährige Schaffen der Band bietet. Auch die Kostümwechsel der beiden Moderatorinnen, die zahlreichen Accessoires, Filmprojektionen und die nüchternen, lakonischen Moderationen von Honey gehören eigentlich schon lange zum Standardprogramm. Und obwohl ich im Laufe der Jahre schon bestimmt bei sieben oder acht Konzerten war, wird es dennoch nicht langweilig. Die Stimmung im Publikum war schlicht großartig, die Band hatte Spaß und die Setlist aus neuem Material und liebgewonnenen Klassikern schaffte es (fast) immer die Lieblingslieder der Zuhörer punktgenau zu treffen. Wirklich perfekt wäre der Auftritt noch mit „Die Moorsoldaten“ gewesen, aber ich will mich nicht beschweren – wo bekommt man noch so viel gute Unterhaltung für sein Eintrittsgeld geboten. Im Laufe der Jahre ist es Welle: Erdball gelungen die Mischung zwischen Musik, optischer Präsentation und Show zu perfektionieren. Natürlich muss man diese Art der minimal-elektronischen Musik mögen – dann bekommt man aber auch ein fantastisches Konzerterlebnis geboten.
Auch der dazugehörige technische Rahmen passte an diesem Abend. Die Leute hinter den Mischpulten hatten Sound und Licht hervorragend im Griff; einzig die Vocals der Moderatorinnen hätten stellenweise etwas lauter sein können. Ansonsten gab es, wie eigentlich in letzter Zeit immer im Schlachthof, rein gar nichts von dieser Seite auszusetzen.

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