Ich höre The Damned, seit ich im zarten Alter von 15 Jahren musikalisch die „Dunkle Seite“ für mich entdeckt habe. Zu dieser Zeit hatte sich die Band etwas von ihren Punk-Ursprüngen entfernt und war ein Stück weit ins Gothic-Genre gewechselt. In den 1990er Jahren wurden Veröffentlichungen und Touren seltener, das Personalkarussell drehte sich und die Musiker verschwanden fast völlig von meinem Radar.
Dies änderte sich erst wieder mit dem 40jährigen Band-Jubiläum und der Veröffentlichung von Evil Spirits im Jahr 2018. Das Album war überraschend erfolgreich, klang erstaunlich frisch und wurde von einer Tour begleitet. Auf eben jener Tour machten The Damned in der Frankfurter Batschkapp Station – für mich DIE Gelegenheit, die Band live zu sehen. Leider machte mir mein angeschlagener Gesundheitszustand einen Strich durch die Rechnung und statt zu feiern, lag ich zu dem Zeitpunkt wieder einmal im Krankenhaus.
Es sollte bis 2022 dauern, bis die Band erneut Deutschland besuchte. Im Rahmen des New Waves Day in Oberhausen war ein Auftritt geplant. Diesmal war ich vor Ort – leider befanden sich die Musiker in einem nahegelegenen Hotel in Quarantäne. Sehr ärgerlich, da ich (fast) nur dafür vor Ort war.
Das für Ende April angekündigte Album nehmen die Musiker nun als Anlass, wieder einige Konzerte zu spielen – vier davon auch in Deutschland. Da ich schon seit geraumer Zeit eine Reise nach Hamburg plane, kommt mir der Tourplan sehr entgegen. So kann ich noch ein wenig Kunst und Kultur mit einfließen lassen. Der Planungsaufwand ist zwar etwas höher, aber Bahnfahrt, Unterkunft und Rahmenprogramm sind dennoch schnell organisiert.
Das Konzert
Es ist ein kalter, windiger, verschneiter Dienstag Abend als ich die S-Bahn-Station Reeperbahn verlasse. Trotz der widrigen Umstände herrscht auf der Großen Freiheit reger Betrieb. Vor den Amüsierbetrieben stehen neugierige Touristen, während sich vor der Großen Freiheit 36 eine gewaltige Schlange gebildet hat. Ich habe Mühe, mich durch die Menschenmenge zu drücken, und bin froh, als ich den ruhigeren Teil der Straße erreiche. Eine Handvoll Besucher hat sich bereits vor dem Eingang zum Gruenspan eingefunden. Die Stimmung ist locker und schnell kommt man ins Gespräch. Bei den meisten handelt es sich um Einheimische, einige haben jedoch lange Reisen auf sich genommen. Was auffällt, ist allerdings das reife Alter – ich zähle an diesem Abend eindeutig zu den jüngeren Gästen.
Pünktlich um 19 Uhr öffnen sich die Türen und es geht in den hohen Saal. Bevor ich einen Platz an der Bühne ergattere, statte ich dem Merch-Stand einen Besuch ab und versorge mich mit Getränken. Langsam füllt sich der Innenraum und ich beeile mich, meinen Platz am rechten Bühnenrand einzunehmen. Nach gut einer halben Stunde herrscht dichtes Gedränge und ich bin froh, ein relativ gemütliches Eckchen gefunden zu haben.
Pünktlich um 20 Uhr kommen, die mir völlig unbekannten, The Jaded aus Hamburg auf die Bühne. Laut Ansage des Gitarristen spielt die Band „irgend so’n Jazz-Zeuch“. Doch schon beim Opener „Nothing Changes“ wird klar, dass es sich doch eher um soliden, schnörkellosen Punk-Rock handelt. Die Musik geht direkt nach vorne und wird vom Publikum gut angenommen. Praktisch vom ersten Stück an wird im Saal mitgewippt. Zwischen den Stücken gibt es immer wieder kleine Anekdoten zum lokalen Bezug der Band, zur Musik und zum fortgeschrittenen Alter der Konzertbesucher (und Musiker). Jedes Stück wird ausgiebig gefeiert und mitgesungen. Das Set besteht zumeist aus eigenen Liedern, aber auch Cover-Versionen haben ihren Platz gefunden. Treibendes Schlagzeug, teils mehrstimmiger Gesang, eingängige Melodien, ironische Texte und die Interaktion mit dem Publikum sorgen für wirklich gute Stimmung. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Band nach dem Ende ihres halbstündigen Sets noch für eine Zugabe auf die Bühne kommt. Nach einer kurzen, dreckigen Version von „Commando“ – im Original von den Ramones ist dann aber auch Schluss und The Jaded haben Feierabend.
Nach ziemlich genau einer halben Stunde Umbaupause verlöschen die Lichter im Saal und vom Band kommt Musik, die durchaus aus einem 1960er Jahre Horrorfilm stammen könnte. Thematisch passt dies natürlich zum, im nächsten Monat erscheinenden, Album Darkedelic. Nachdem die letzten Töne verklingen, betreten endlich The Damned die Bühne. Nach Bassist Paul Gray oder dem neuen Schlagzeuger Bill Taylor würde man sich auf der Straße wahrscheinlich nicht umschauen. Dagegen ist das Auftreten von Keyboarder Monty Oxymoron und Gitarrist Captain Sensible recht markant. Optisch (und musikalisch) steht jedoch Dave Vanian im Mittelpunkt. Als der Sänger ans Mikrofon tritt, muss ich unweigerlich an Arnold Ernst Toth (aus dem ersten Indiana Jones-Film) denken.
Entgegen meinen Erwartungen stammt der Opener „Street of Dreams“ nicht aus den neuen Veröffentlichungen, sondern aus dem Jahr 1985 – einer Phase in der die Band eher dem Gothic-Genre zuzuordnen war. Die Nummer ist rockiger als auf dem Album und überzeugt eigentlich ab dem ersten Ton. Danach folgt die Single-Auskopplung aus dem kommenden Album – „The Invisible Man“. Das Publikum ist verständlicherweise noch nicht ganz textsicher, feiert aber trotzdem mit. Grade das manische Gelächter im Mittelteil bleibt hier im Gedächtnis haften. Danach folgt ein wilder Ritt kreuz und quer durch die Bandgeschichte mit Stücken aus jedem der zwölf Alben. Dabei folgen ruhige Passagen, beispielsweise „Blackout“ auf kurze, krachige Nummern wie „Lively Arts“. Zwischendurch werde ich (relativ rüde) daran erinnert, dass hier immer noch eine Punk-Band auf der Bühne steht. In der Mitte des Saales hat sich eine recht große Pogo-Runde gebildet, deren Ausläufer mich unsanft an das Gatter drücken. Obwohl sich einige Gäste vom Boden aufrappeln müssen, tut dies der guten Stimmung keinen Abbruch.
Der erste Teil des Konzerts endet nach gut 70 Minuten mit einer sehr extensiven Version von „Neat Neat Neat“. Dabei könnte Dave Vanian durchaus als Inkarnation von Elvis Presley durchgehen – einschließlich dem eleganten Hüftschwung.
The Damned kommen schon nach wenigen Minuten wieder zurück auf die Bühne. Allerdings gibt es wohl ein technisches Problem mit Bass und Gitarre, dass die Crew nicht lösen kann. Captain Sensible macht das beste aus der Situation und improvisiert zusammen mit dem Keyboarder und Schlagzeuger das grandiose „Wot“. Das Publikum ist, wenig überraschend, textsicher und geht mit vollem Einsatz mit. Schließlich ist die Panne behoben und der zweite Teil des Sets kann mit „Eloise“ richtig beginnen.
Wieder gibt es technische Schwierigkeiten – diesmal ist es der Bass von Paul Gray, der nicht macht, was er soll. Der Bassist ist sichtlich genervt und die Crew schraubt mit wachsender Panik an dem Instrument herum. Nun liegt es an Monty Oxymoron dem Keyboarder, die Zwangspause mit einer Improvisation zu überbrücken. Ein sphärischer Klangteppich, dezent von Gitarre und Schlagzeug unterstützt, überbrückt die Wartezeit. Nach diesem kurzen, ausgesprochen ruhigen Zwischenspiel, nimmt das Konzert mit „Smash It Up“ noch einmal an Tempo zu. Es wird wieder wild getanzt – aber auch außerhalb der pogenden Menge in der Mitte steht im Saal niemand mehr still.
Nach etwas mehr als 90 Minuten endet der Auftritt – natürlich mit dem Stück, mit dem die Bandgeschichte 1977 begann. Anstatt das Konzert ruhig ausklingen zu lassen, drückt „New Rose“ ordentlich aufs Tempo. Optisch wird das Ganze durch eine kleine Tanzeinlage des Keyboarders aufgewertet, der wild über die Bühne fegt.
Wie war’s?
Lange hat es gedauert, bis ich The Damned endlich live sehen konnte. Aber sowohl die Warterei als auch der Aufwand haben sich für mich gelohnt. Der dazugehörige kurze Kurzurlaub in Hamburg war dabei noch ein zusätzlicher Bonus. So hatte ich endlich einmal die Gelegenheit mich mit Freunden zu treffen, mir das Miniatur Wunderland anzusehen und durch die Hansestadt zu bummeln.
Die Atmosphäre im Gruenspan war sehr familiär und entspannt, so dass ich mich direkt wohl gefühlt habe. Der Sound war, zumindest an meinem Standort, recht gut – nur gelegentlich gab es ein leichtes Übergewicht bei der Gitarre. Die technischen Schwierigkeiten gegen Ende des Auftritts konnte die Band locker, und ausgesprochen charmant, überspielen. Die Kommunikation mit dem Publikum wurde hauptsächlich von Captain Sensible und Dave Vanian bestritten. Die anderen drei Musiker traten nur selten in den Vordergrund – wenn auch Paul Gray ein Freund großer Posen ist. Ich hatte den Eindruck, dass auch die Band Spaß am Auftritt hat. Kleine Wortgeplänkel und Tanzeinlagen lockerten das Konzert zusätzlich auf. Die Stücke, obwohl über einen Zeitraum von über 40 Jahren entstanden, wirken aus einem Guss. Dabei funktioniert die Mischung aus Rock und Punk hervorragend. Hinzu kommen psychedelische Keyboards, ruhige Passagen und gelegentliche Reminiszenzen an Elvis, die der Band einen ausgesprochen charakteristischen Sound verleihen.
Insgesamt ein großartiges Konzert, bei dem alles gepasst hat – einschließlich der wirklich guten Vorband!
Wer noch ein paar mehr Bilder sehen möchte, wird HIER fündig!