Ost+Front

07.10.2019 von Marcus Pohlmann

Ost+Front

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Veranstaltungsdatum: 04.10.2019

Veranstaltungsort: Das Bett »

Es ist mittlerweile schon etwas her, dass ich Ost+Front auf dem Amphi in Köln zum ersten Mal gesehen habe. Die Band hatte seinerzeit die Theaterbühne gerockt und bei mir dabei einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Gerne hätte ich mir eine komplette Show des Sextetts aus Berlin angesehen, war doch der Festivalauftritt leider viel zu kurz. Natürlich habe ich die Release-Tour zum Album Adrenaline im letzten Jahr verpasst habe – doch glücklicherweise verschlägt es Ost+Front in diesem Jahr wieder nach Frankfurt. Und so mache ich mich an einem empfindlich kühlen und ziemlich verregneten Freitag auf den Weg in die Main-Metropole.

Im Das Bett war ich vor über zwei Jahren das letzte Mal. Früher war ich hier regelmäßig zu Gast, doch mittlerweile komme ich kaum noch vor die Türe. Dennoch findet mein Wagen zuverlässig den Weg durch den abendlichen Großstadtverkehr und ich komme (viel zu früh) in der Schmidtstraße an. Äußerlich hat sich der kleine Frankfurter Club kaum verändert – sieht man mal vom Unterstand für die Raucher ab. Innen sieht es mittlerweile ein wenig anders aus. Die Bühne ist zwar noch an der gleichen Stelle, aber die kleine Empore für das Mischpult musste weichen und auch die Theke ist gewandert. Dafür gibt es jetzt eine Art Sitzecke und die Säule in der Hallenmitte stört nicht mehr die Sicht. Im Gegensatz zu einigen anderen Clubs hat es Das Bett aber geschafft, seinen Charme und die gemütliche Atmosphäre zu behalten, und ich fühle mich direkt wieder heimisch.

Es dauert noch eine gute Stunde, bis die Vorband die Bühne entert. Die Zeit nutze ich, um meinen Koffeinpegel wieder aufzufüllen, und für ein kleines Schwätzchen mit Bekannten. Schließlich statte ich dem gut bestückten Merchandise-Stand einen kurzen Besuch ab. Ein schickes T-Shirt mit dem zombifizierten Konterfei Fritz Haarmanns und die Digipack-Version von Adrenaline gehen in meinen Besitz über. Ich habe sogar noch genug Zeit, die Errungenschaften im Kofferraum unterzubringen, bevor es losgeht.

Soulbound - immer in Bewegung

Soulbound – immer in Bewegung

Pünktlich um 20.30 Uhr verlöschen die Lichter und das Publikum, das vorher im Raum verteilt war, sammelt sich vor der Bühne. Beim Intro kommen mir leichte Zweifel – bin ich nicht vielleicht doch auf einem Volksmusikkonzert gelandet?!? Mit den ersten Gitarrenakkorden zerstreuen Soulbound jedoch meine Befürchtungen. Das Quintett aus Bielefeld rockt ordentlich und spielt recht abwechslungsreichen Metal. Während die beiden Gitarristen ihre Instrumente kreischen lassen, sorgen Bassist und Schlagzeuger für das druckvolle Grundkonstrukt der Songs. Frontmann Johnny Stecker wechselt von klarem Gesang zu Shouts um ein paar bedrohliche Growls abzuliefern – teils alles im gleichen Stück. Die Band ist ständig in Bewegung und liefert in ihrem gut 40minütigen Set einen kleinen Einblick in ihr zehnjähriges Schaffen.

Zwischendurch bahnen sich zwei schwer bepackte Boten des örtlichen Pizzaservice einen Weg durch die Zuschauermassen und verschwinden in der Umkleide. Der Duft von geschmolzenem Käse, Tomate und Pilzen erinnert mich daran, dass das Abendessen heute ausfallen musste.
Die Musik von Soulbound kommt beim Publikum offensichtlich gut an und die eine oder andere Mähne wird geschüttelt. Zwischen jedem Stück bindet der Sänger die Zuschauer ein und sorgt so für eine ausgelassene Stimmung. Schließlich verschwinden die fünf Musiker hinter der Bühne – wahrscheinlich um sich mit einer Pizza zu stärken. Kurz darauf mischen sie sich jedoch unter das Publikum oder stehen hinter dem Merch-Stand um Autogramme zu schreiben.

Ich nutze die kurze Umbaupause für einen Ausflug an die Theke und für die eine oder andere Unterhaltung. Mittlerweile ist Das Bett doch recht ordentlich besucht und die ersten Fans begeben sich in Position vor der Bühne. Für mich das Zeichen, mir ebenfalls ein ungestörtes Eckchen zu suchen. Am linken Bühnenrand finde ich einen vielversprechenden Platz, von dem ich einen guten Ausblick auf das Geschehen habe.

Herrmann Ostfront - Freund großer Gesten

Herrmann Ostfront – Freund großer Gesten

Nach einer halben Stunde ist es dann soweit und die Einleitung von „Adrenalin“, dem Titeltrack des letzten Albums, läuft vom Band. Gemächlich nehmen die Musiker ihre Positionen ein – einzig Sänger Herrmann Ostfront lässt auf sich warten. Endlich betritt er die Bühne und schnappt sich das Mikro – die Show kann beginnen. Das Publikum ist praktisch vom ersten Ton an in Bewegung und ausgesprochen textsicher. Bereits für „Fiesta de Sexo“, ursprünglich eine Kollaboration mit Erk Aicrag, humpelt Eva Edelweiss hinter ihrem Keyboard hervor und übernimmt den zweiten Gesangspart. Die Kombination von typisch mexikanischem Mariachi-Stil in Verbindung mit dem eher harten Sound der Gitarren und Drums sorgt für einen ungewöhnlichen Kontrast. Allerdings passt dies zum Spiel mit Klischees, das die Band richtiggehend zelebriert.

Spätestens nach dem dritten Stück fällt auf, dass Herrmann Ostfront gänzlich auf Moderationen oder Ansagen verzichtet. Maximal eine knappe Verbeugung zwischen den einzelnen Liedern ist drin – ansonsten ist der Übergang nahtlos.
Mittlerweile hat sich Eva einen blutigen Laborkittel übergeworfen und kommt wieder an den Bühnenrand. Der Infusionsbeutel, in dem eine verdächtig gelbe Flüssigkeit schwappt, gibt erfahrenen Konzertbesuchern einen Hinweis darauf, was sie nun erwartet. „Feuerwasser“ ist eines der ruhigsten Stücke des Sets – und auch hier singt das Publikum brav den Refrain mit. Wer sich traut, darf sogar einen Schluck der Infusionsflüssigkeit nehmen, die die erste Reihe tränkt. Vom Titel und den lieblichen Keyboard-Parts sollte sich der Hörer nicht täuschen lassen – das „Liebeslied“ präsentiert sich derb und obszön. Die harten Gitarrenparts laden zum Headbangen ein – immer wieder unterbrochen durch langsame Passagen.

Musikalischer Ausflug nach Mexiko

Musikalischer Ausflug nach Mexiko

Vom aktuellen Album stammt „Puppenjunge“, eine Hommage an den weiter oben erwähnten Serienmörder Haarmann. Hier ist es wieder der Widerspruch zwischen eingängigem Refrain, dem blutrünstigen Text und den harten Instrumentalparts, die den Reiz des Stücks ausmachen. Da es anscheinend sonst niemand macht, feiern sich Ost+Front mit „10 Jahre Ost+Front“ einfach selbst. Die Musiker rocken dabei schnörkellos und direkt drauflos, während sich weiter hinten im Raum die erste Moshpit bildet. Sänger Herrmann Ostfront liefert eine recht passable Lemmy-Interpretation ab – irgendwo zwischen Punk und Metal.

Der Einspieler zum „Denkelied“ kratzt und knirscht, als käme er von einer Schellack-Platte – was zum historischen Hintergrund passt. Wieder zeigt die Band ihre Vorliebe für kannibalistisch veranlagte Serienmörder. Diesmal dient ein Kinderreim aus dem Jahr 1924 als Vorlage und Refrain. Für mich eines der eingängigsten Stücke des Konzertes und mein persönliches Highlight. Ungewöhnlich elektronisch geht es bei „Freundschaft“ und „Fick Dich“ zur Sache. Hier stehen eindeutig die Keyboards im Vordergrund – simpel gestrickt und auf ein Minimum reduziert, graben sie sich doch in die Gehörgänge. Textlich und musikalisch zeigt „Sonne, Mond und Sterne“ eine völlig andere Seite von Ost+Front. Hier liefern die Musiker einen eher melancholischen Ruhepunkt des Konzertes – was der ausgelassenen Stimmung des Publikums jedoch keinen Abbruch tut. Nur unmerklich zieht das Tempo mit dem folgenden „Sternenkinder“ wieder etwas an – auch dieses Stück weicht vom bisherigen Schema ab.

Die Bühne im Überblick

Die Bühne im Überblick

Damit ist die kurze Verschnaufpause beendet, „Bruderherz“ und „Gang Bang“ gehen wieder deutlich härter zur Sache. Beide Stücke kommen weitgehend ohne schmückendes Beiwerk aus und rocken ordentlich. Mittlerweile wippt der ganze Raum – selbst in der hintersten Ecke, an der Theke, ist Bewegung im Publikum. Für „Ich liebe es“ muss Eva Edelweiss wieder einmal nach vorne an den Bühnenrand kommen und die Zudringlichkeiten von Herrn Ostfront über sich ergehen lassen. Die geplagte Keyboarderin erträgt auch diesen Teil des Konzertes bemerkenswert stoisch. Schließlich flüchtet sie für „Mensch“ wieder in die Ecke, hinter ihr Instrument.

Mein Liebling vom aktuellen Album, „Hans guck in die Luft“, fehlt glücklicherweise nicht in der Set-List. Das Grundmotiv basiert auf einer, sehr freien, Interpretation der Geschichte des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann. Hier mischt die Band eingängige Melodie und eher nachdenklichen Text mit genau der richtigen Portion Härte. Hier zeigt sich, dass Herrmann Ostfront in der Lage ist, weniger plakative Texte zu schreiben, die dennoch hervorragend funktionieren. Dagegen taucht die Band für „Heavy Metal“ kopfüber in die Klischees dieser Musikgattung ein. Spätestens, wenn von Kriegern mit wallendem Haar die Rede ist, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Special Effects!

Special Effects!

Anschließend verlassen die Bandmitglieder die Bühne, nicht, ohne sich artig beim Publikum zu bedanken. Die Rufe nach einer Zugabe sind kaum verklungen, da sind die sechs Musiker auch schon wieder zurück. „Bitte schlag mich“ legt das Hauptaugenmerk wieder auf Drums und Keyboard – wirklich gerockt wird dabei nur im Refrain. Ein letztes Mal hat Eva Edelweiss ihren Einsatz und kippt säckeweise schwarze Luftballons in den Zuschauerraum.
Dann ist aber auch dieses Stück zu Ende und die Band verlässt ein letztes Mal zu den Klängen von „Preußens Gloria“ die Bühne. Einige der Besucher nutzen den klassischen Marsch um in einer Polonaise durch Das Bett zu ziehen. Schließlich ist die Band in der Umkleide verschwunden und das Licht im Club geht nach ziemlich genau 90 Minuten wieder an.

Von der Vorband Soulbound hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas gehört. Eigentlich nicht verwunderlich – ist Metal doch ein Genre, das mir nicht übermäßig liegt. Dennoch war ich angenehm überrascht von den fünf Bielefeldern. Die Kombination aus verschiedenen Musik- und Gesangsstilen konnte durchaus überzeugen. Und natürlich hat auch die ausdauernde Motivationsarbeit des Sängers dazu geführt, dass das Publikum die Band gefeiert hat.

Seit ich Ost+Front zum ersten Mal gehört habe, finde ich die Kontraste, mit denen die Band arbeitet, ausgesprochen reizvoll. Da gibt es gelegentlich plakative Texte und einfach gestrickte, aber eingängige Musik, wie beispielsweise „10 Jahre Ost+Front“ oder „Bruderherz“ zu denen man einfach nur abrocken kann. Dann wird wiederum mit Klischees gespielt, hervorragend gelungen bei „Heavy Metal“ oder „Fleisch“. Und dann gibt es noch die stillen, nachdenklichen oder gar melancholischen Momente. Tatsächlich gehören Stücke wie „Suizid“, „Ein alter Mann“ oder das großartige „Moldau“ zu meinen Lieblingen. Leider finden sich diese Lieder nur selten auf den Set-Lists der Konzerte. Andererseits gut verständlich – das Publikum will schließlich feiern. Die Reaktionen im Das Bett haben gezeigt, dass die Band mit den Liedern eine gute Wahl getroffen hat. Es wurde ausgelassen gebangt, es gab eine kleine Moshpit und sogar eine Polonaise gegen Ende.

Danke für das tolle Konzert!

Danke für das tolle Konzert!

Im Gegensatz zur Vorband, wo ständig Bewegung herrschte, standen die Musiker von Ost+Front stoisch auf ihren Plätzen. Lediglich Wilhelm Rotlauf am Bass und Otto Schmalzmann an der Leadguitarre tauschten kurz die Position. Für die Showeinlagen war dagegen Eva Edelweiss zuständig, die sowohl im Kittel, mit Sombrero, aber auch als Fußbank für Herrmann Ostfront eine gute Figur machte. Der Sänger selbst lieferte schließlich eine sehr interessante Vorstellung ab. Keine Begrüßung, keine Anmoderation der einzelnen Stücke, beinahe keinerlei Interaktion mit dem Publikum – lediglich höflich zurückhaltende Verbeugungen beim Applaus zwischen den Liedern.

Ganz anders die Situation nach dem Konzert: Bereitwillig und ausdauernd stehen die Musiker für Selfies und Autogramme zur Verfügung, unterhalten sich mit dem Publikum und machen dabei einen lockeren, gelösten Eindruck. Vor allem Herrmann Ostfront und Eva Edelweiß stehen im Zentrum des allgemeinen Interesses. Irgendwann habe ich es dann auch geschafft und immerhin die Unterschriften von fünf der sechs Musiker eingesammelt. Einzig Schlagzeuger Fritz Knacker war nirgendwo zu finden…

Aus technischer Sicht gab es am Konzert nichts auszusetzen. Der Sound, sowohl bei Vor- wie auch Hauptband, war wuchtig, ausgewogen und sauber. Weiter hinten im Raum war der Gesang etwas dominanter, direkt vor der Bühne dagegen die Gitarren. Die Lichteffekte waren eher dezent, meist Farbwechsel oder einzelne Spotlights auf bestimmte Bühnenbereiche. Bei einigen Stücken griff die Band dagegen auf massiven Stroboskop-Einsatz zurück. Dies unterstrich zwar passend grade die härteren Passagen der Songs, sorgte aber auch dafür, dass ich nach einiger Zeit wegdrehen musste. Der Einsatz der Nebelmaschine war ebenfalls gezielt – hier verschwanden der Bassist (der nicht leicht zu übersehen ist) und der Gitarrist komplett in einer Nebelsäule.

Letzten Endes bin ich froh, dass ich mich, trotz des eher bescheidenen Wetters, auf den Weg in Das Bett gemacht habe. Der kleine Club zählt nach wie vor zu meinen liebsten Konzertlocations, hat eine entspannte Atmosphäre und bietet eine überraschend gute Akustik. Dazu kamen zwei recht unterschiedliche Bands, die aber, jede auf ihre Art, einen tollen Auftritt abgeliefert haben. Hoffentlich werden nicht noch einmal zwei Jahre vergehen, bis ich mich wieder auf den Weg nach Frankfurt mache.

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