Musiker: Madness
Label: BMG
Laufzeit: 56 Minuten
Tracklist:
01 - Prologue: „Mr. Beckett Sir...“
02 - Theatre Of The Absurd
03 - If I Go Mad
04 - Baby Burglar
05 - Act One: „Surrounded On All Sides...“
06 - C'est La Vie
07 - What On Earth Is It (You Take Me For?)
08 - Hour Of Need
09 - Act Two: „The Damsel In Distress...“
10 - Round We Go
11 - Act Three: „The Situation Deteriorates...“
12 - Lockdown And Frack Off
13 - Beginners 101
14 - Is There Anybody Out There?
15 - The Law According To Dr. Kippah
16 - Epilogue: „And So Ladies And Gentlemen...“
17 - Run For Your Life
18 - Set Me Free (Let Me Be)
19 - In My Street
20 - Fin: „Ladies And Gentlemen...“
Erscheinungsdatum: 17.11.2023
Sprache: Englisch
Die Ska-Band Madness dürften den meisten unserer Leser durch die beiden Singles „House of Fun“ und „Our House“ bekannt sein. Obwohl die Stücke über 40 (!) Jahre alt sind, strotzen sie auch heute noch vor Energie und es ist schwierig, dabei still sitzen zu bleiben. Nicht ganz so geläufig ist jedoch, dass die Londoner (zwischenzeitlich zum Sextett geschrumpft) alle paar Jahre neue Musik veröffentlichen und regelmäßig ausverkaufte Touren spielen. Das letzte Album stammt von 2016, der geplante Nachfolger verzögerte sich bedingt durch die Corona-Epedemie immer weiter. Doch Ende 2023 war es dann soweit und das Plattenlabel BMG konnte das (je nach Zählweise) zwölfte Album der Band, auf den Markt bringen. C’est la Vie, oder wie es mit vollständigem Titel heißt Theatre of the Absurd presents C’est la Vie, wird dabei von einer weltweiten Tour unterstützt, die Madness im Spätsommer 2024 auch für zwei Auftritte nach Deutschland führen.
Was steckt drin?
Neben den mittlerweile obligatorischen Varianten als Stream oder Download erscheint das Album in Form physikalischer Tonträger. Zum einen die Standard-Veröffentlichung als Digi-Pack mit einer CD und insgesamt 20 Tracks. Diese bildet auch die Grundlage dieser Rezension. Die „Expanded Enhanced Edition“ bietet neben einem Hardcover-Umschlag und einem umfangreicheren Booklet eine weitere CD mit zusätzlichen Studio- und Live-Aufnahmen (beispielsweise diese HIER). Alternativ gibt es diese Variante noch als Doppel-Schallplatte für die Vinyl-Liebhaber.
Was wird gespielt?
Ähnlich wie schon beim 2009er Album The Liberty of Norton Folgate liegt auch hier wieder ein zusammenhängendes Konzept zugrunde. Aufgeteilt ist der Silberling in drei Akte, eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog und abgeschlossen von einem Finale. Jeder dieser Abschnitte enthält einen kurzen Text, gesprochen vom Schauspieler Martin Freeman und musikalisch untermalt mit einer Keyboard-Passage. Die verbleibenden 15 Stücke nutzen häufig Gastmusiker, die die Band unterstützen.
„Theatre Of The Absurd“ beginnt mit einer Geräuschkulisse, die an ein Orchester erinnert, dass sich einstimmt. Die erste Strophe besteht praktisch nur aus halb gesungenen, halb gesprochenen Text von Suggs McPherson untermalt von einer kleinen Pianomelodie. Im zweiten Teil des Stücks nimmt auch der Rest der Band die Arbeit auf, unterstützt von einigen klassischen Instrumenten. Ohrwurmpotential hat der Track eher weniger, dafür setzt er sehr treffend die Stimmung, für das, was den Hörer in der nächsten guten Stunde erwartet.
Der Titeltrack „C’est La Vie“ beginnt mit einem Saxophon-Aufschrei, bevor es dann recht schwungvoll weitergeht. Schlagzeug, Saxophon und Orgel bilden einen Gegenpol zu Gitarre und Bass. Ein bisschen blitzen hier die Ska-Wurzeln der Band durch, entsprechend eingängig ist der Song. Der beschwingte Rhythmus sollte allerdings nicht zu sehr von den Lyrics ablenken, die überraschend pessimistisch daherkommen. Das dazugehörige Video gibt es HIER.
Mit einem gehörigen Funk-Einschlag und Sprechgesang vom Saxophonisten Lee Thompson präsentiert sich „What On Earth Is It (You Take Me For?)“. Im Vergleich zum Großteil der restlichen Tracks kommt das Stück relativ schnörkellos aus den Boxen. Für mich das schwungsvollste und eingängigste Lied auf C’est la Vie. Hier beweist die Band, dass auch Herren in gesetzterem Alter ordentlich rocken können.
Im Gegensatz zu den meisten Stücken übernimmt bei „Hour Of Need“ Chris Foreman mit seiner Gitarre die Führung. Unterstützt wird er dabei von mehreren Streichern, was einen recht interessanten Kontrast ergibt. Der Rest der Band steigt erst gut nach der Hälfte des Tracks ein – bleibt aber, bis auf die Drums und einige Keyboard-Passagen, weitgehend im Hintergrund. Einzig das sehr jazzige Saxophon-Solo am Ende sorgt für einen markanten Ausklang.
Wie so viele Stücke auf dem Album beginnt auch „Beginners 101“ mit zarten Keyboard-Klängen. Jedoch schon bald tragen die restlichen Bandmitglieder ihren Part bei. Die entspannte, unaufgeregte Melodie bekommt durch die Drum- und Percussion-Passagen ein klein wenig Biss. Die Chöre und das Saxophon-Solo im Mittelteil machen den Track unverwechselbar. Wird der Hörer durch die Musik eher in Sicherheit gewiegt, so ist der Text (zumindest nach meiner Interpretation) eine zynische Abrechnung mit dem britischen (Noch-)Premierminister.
Percussion, Bläser und mehrstimmiger Gesang dominieren „Run For Your Life“. Ein klein wenig erinnert mich die Nummer an bessere Disco-Tracks der 1970er – auf jeden Fall geht es direkt ins Ohr und von dort in die Füße. Verzerrte Vocals und eben solche Soundeffekte weichen weiter stilistisch vom „normalen“ Sound der Band ab. Ein ungewöhnliches, aber spannendes und unterhaltsames Stück. Textlich bleiben die Musiker jedoch beim vorherrschenden Thema und liefern eine Aufzählung aller negativen Dinge, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben.
Für den Abschluss „In My Street“ nimmt Suggs McPherson den Hörer mit auf den Streifzug durch seine Nachbarschaft. Hier wirft der Sänger melancholisch und resignierend einen Blick auf den Verfall der Gesellschaft – ohne dabei in die „Früher war alles besser“-Falle zu tappen. Fette Bläser, ein melodisches und zugleich wild orgelndes Keyboard, eine pumpende Rhythmus-Sektion und eingängige Gitarren vermischen sich hier zu einem passenden musikalischen Hintergrund für dieses Sittengemälde der britischen Hauptstadt. Vielleicht nicht das zugänglichste Stück auf dem Album, aber für mich das eigentliche Highlight und ein würdiger Schlusspunkt.
Gehört die CD in den Player?
Den unbeschwerten, überdrehten Ska ihrer Anfangsjahre haben Madness schon länger hinter sich gelassen – zumindest was die Albumveröffentlichungen angeht. Auch C’est la Vie bildet hier keine Ausnahme. Zwischendurch finden sich jedoch immer Stücke, bei denen die Füße zwangsläufig zucken. Aber Material für die Tanzflächen der einschlägigen Clubs sucht man hier (fast) vergeblich. Dennoch kommen die Melodien wie jeher eingängig und locker-leicht aus den Boxen. Dabei fällt bei mehrmaligem Hören auf, dass die Komplexität der Arrangements mit jedem Album ein wenig zunimmt und vielschichtiger wird. Die Stücke bedienen sich bei Rock, Pop, Wave, Jazz, Klassik, Funk und natürlich Ska, lassen sich aber selten wirklich einem Genre zuordnen. Dass die Musiker im Laufe der Jahre gereift sind, wird jedoch vor allem bei den Texten deutlich. Diese werfen einen zutiefst zynischen, pessimistischen, häufig melancholischen Blick auf den aktuellen Zustand der (britischen) Gesellschaft oder sind recht persönlich. Dabei lassen sie glücklicherweise einen ausgesprochen trockenen Humor und ein Augenzwinkern nicht vermissen. Wirkliches Hitpotential hat keines der 15 Stücke, dafür gibt es ein insgesamt spannendes, abwechslungsreiches Album ohne Durchhänger auf die Ohren, das auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilig wirkt. Es gibt immer etwas Neues bei den Arrangements zu entdecken und auch bei den Lyrics lohnt es sich, genauer hinzuhören.
Das Booklet enthält neben den Texten eine Auflistung aller Beteiligten des jeweiligen Stücks. Gewidmet ist C’est la Vie Terry Hall, dem im Dezember 2022 verstorbenen Sänger der anderen großen 2-Tone-Band The Specials.
Einen Überblick über das gesamte Schaffen von Madness kann man sich auf dem YouTube-Kanal der Band machen. Von den Anfängen aus dem Jahr 1979 bis zu Material vom aktuellen Album findet sich hier eine breit gefächerte Auswahl. Mehr Informationen zur Band, zur laufenden Tour, kostenlose Downloads und Merchandise gibt es auf der Homepage.
C’est la Vie zeigt eine gereifte Band, die es immer noch versteht musikalisch und vor allem mit ihren Lyrics zu überzeugen.