Musiker: Boss Capone & Patsy, Madness
Genre: Reggae, Rocksteady, Ska
Veranstaltungsdatum: 20.09.2024
Veranstaltungsort: https://www.palladium-koeln.de/ »
Nachdem mich das letzte Album der „Ska-Berserker“ (so eine Musik-Postille Mitte der 1980er) doch sehr angenehm überrascht hat, ist die Vorfreude groß, dass Madness im Rahmen ihrer Tour mit zwei Terminen auch hier Station machen. Wenn man nach C’est la vie geht, sind die Musiker, mittlerweile alles gesetztere Herren jenseits der 60, deutlich ruhiger geworden. Nicht geändert hat sich der teils kritische, teils zynische Blick auf das heimische Umfeld der Londoner. So wurden auf dem Album die Veränderung der Stadt, der Brexit und auch die Auswirkungen von Corona thematisiert. Auf jeden Fall freue ich mich, die Band wieder live sehen zu können!
Die beiden deutschen Tourtermine (die einzigen auf dem europäischen Festland) sind in Köln und Berlin, was die Entscheidung für mich relativ einfach macht. Da mein Zeitplan in den nächsten Wochen ohnehin mit zahlreichen Messen, Konzerten, Lesungen und privaten Terminen vollgestopft ist, wähle ich natürlich den Auftritt in der Domstadt. Nicht nur bin ich vom Büro aus in gut zwei Stunden vor Ort – ich kann anschließend direkt wieder nach Hause fahren. Obwohl mein Entschluss relativ kurzfristig fällt, bekomme ich dennoch problemlos eine Karte für den Freitag im Palladium.
Nachdem mein Arbeitstag bereits um 6 Uhr morgens begonnen hat, verabschiede ich mich schon mittags in den Feierabend. Die Navigations-App verspricht freie Fahrt über die A3, so dass ich tatsächlich noch einen Abstecher in die Kölner Innenstadt einplane. Bis kurz hinter Siegburg verläuft die Reise auch zügig und ereignislos – doch dann geht in einer Baustelle nichts mehr. Eine gute Stunde benötige ich für den Kilometer, an dessen Ende ein LKW Teile der Absperrung mitgenommen hat. Nachdem ich dieses Hindernis passiert habe, läuft der Rest recht entspannt, zumindest bis ich im Kölner Feierabendverkehr lande. Glücklicherweise muss ich nicht direkt in die Stadt, sondern bleibe im rechtsrheinischen Mülheim. Da es immer noch relativ früh ist, ergattere ich einen Parkplatz praktisch genau vor dem Eingang der Halle – so bleibt mir immerhin ein langer Fußmarsch ins nächste Parkhaus erspart.
Gemäß meinem ursprünglichen Plan fahre ich mit der Straßenbahn in Richtung Dom und Innenstadt. In der Hohen Straße drücken sich Horden von Touristen und Einheimischen aneinander vorbei und ich beeile mich, in eine der Seitengassen abzubiegen, um einige Besorgungen zu erledigen. Schwer beladen mit Einkäufen geht es bald darauf wieder zum Hauptbahnhof. Allerdings lasse ich es mir nicht nehmen, bei meiner bevorzugten Imbissbude eine kleine Stärkung zu verspeisen.
Die Location
Obwohl es noch eine gute Stunde bis zur Öffnen der Tore hin ist, hat sich bereits eine veritable Schlange vor dem Palladium gebildet, als ich zurückkehre. Ich reihe mich ein und schnell kommt man ins Gespräch. Diese drehen sich um vergangene Konzerte, zu früh verstorbene Musiker oder Vor- und Nachteile der verschiedenen Veranstaltungsorte. Für einen Mitfünfziger, der wenige Meter hinter mir steht, ist dies bereits das achte Auftritt auf der aktuellen Madness-Tour – was ich schon ein bisschen beeindruckend finde. So vergeht die Zeit recht schnell und exakt um 18.30 Uhr beginnt der Einlass.
Es ist für mich das erste Mal in dieser Location und so schaue ich mich interessiert um. Hohe Decken in der Vorhalle, eine geschmackvolle Inneneinrichtung und flinkes Thekenpersonal machen einen sehr guten Eindruck. Mein persönliches Highlight sind allerdings die Toiletten im Keller. Passend zur Musik sind Wände und Boden im klassischen schwarz-weißen 2-tone-Muster gefliest; hinzu kommt ein Waschbecken, das mitten im Raum steht. Der Konzertsaal wirkt ebenfalls recht ansprechend. Eine umlaufende Galerie ist für (wahrscheinlich) geladene Gäste vorbehalten, aber auch so ist die Räumlichkeit gut aufgeteilt. Eine Theke am Hallenrand sorgt für das leibliche Wohl, nur wenige Stahlträger versperren die Sicht und die Lüftung scheint gut zu funktionieren. Schnell sichere ich mir einen Platz direkt an der Absperrung, der einen freien Ausblick auf die Bühne erlaubt.
Der DJ
Während sich die Halle langsam füllt, steht am linken Bühnenrand, also direkt vor mir, ein älterer Herr im schicken Anzug und lässt die Tonträger kreisen. Hier gibt es ganz klassisch frühen Ska, Rocksteady und Reggae auf die Ohren, aber auch Northern Soul. Er macht seinen Job so gut, dass bereits vor dem Beginn des eigentlichen Konzerts Bewegung in die Besucher kommt. Einige Späßchen mit den Leuten in der ersten und zweiten Reihe lockern die Atmosphäre zusätzlich auf. Kurz vor 20 Uhr wird es Zeit für die Vorband und das Pult wird an die Seite geschoben und er verabschiedet sich von der Bühne.
Nach dem Auftritt von Boss Capone & Patsy folgt während der halbstündigen Umbaupause der zweite Teil des DJ-Sets. Dieser wird ebenfalls maßgeblich durch Musik der 1960er bestimmt, aber es finden auch „modernere“ Stücke ihren Weg auf die Turntables. Bei einigen davon handelt es sich um ungewöhnliche Cover, beispielsweise „Das Model“ oder „Insane in the Brain“. Den Schlusspunkt setzt dann „Jump Around“ von House of Pain, bei dem wirklich niemand mehr im ausverkauften Palladium still steht. Anschließend wird der DJ (völlig zurecht) vom Publikum mit Applaus verabschiedet.
Boss Capone & Patsy
Boss Capone kannte ich bisher nur als Frontmann der Jogginganzug-Träger von The Upsessions, die ich schon mehrfach auf verschiedenen Festivals gesehen hatte. Nun also mit neuer Band, anderer Optik und der reizenden Patsy am Mikrofon.
Musikalisch geht es mit der Handvoll Stücke des gut halbstündigen Sets auf eine Reise tief zurück in die 1960er. Die sieben Musiker pendeln zwischen entspanntem Reggae und etwas druckvollerem Ska, komplett mit Saxophon und Orgel. Die Rhythmus-Sektion drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sorgt aber dafür, dass die Stücke zuerst ins Ohr und dann in die Füße gehen. Das Zusammenspiel zwischen Sängerin und Sänger funktioniert am besten, wenn sie gemeinsam am Werk sind. Auch außerhalb des Gesangs harmonieren die beiden recht gut und sorgen dafür, dass der Auftritt nicht langweilig wird. Der Schwerpunkt des Sets liegt, angefangen bei „I am the King“ über „Here comes the Train“ bis zu „Kings & Queens“ beim gleichnamigen Album aus dem letzten Jahr. Den Abschluss bildet schließlich „Woman you a Scorpion“ von der aktuellen Veröffentlichung Blackfire. Damit verabschiedet sich die Band von der Bühne des Palladium um Platz für den DJ zu machen, der sein Set während der kurzen Umbaupause fortsetzt.
Insgesamt ein Auftritt, der beim Publikum recht gut ankommt und die Wartezeit auf das eigentliche Highlight des Abends angenehm verkürzt.
Madness
Während man auf der abgedunkelten Bühne Bewegungen erahnen kann, läuft auf der großen Video-Leinwand ein Countdown herunter. Schließlich gehen die Lichter an und Suggs McPherson spricht die Worte ins Mikrofon, auf die alle gewartet haben: „Hey you! Don’t watch that, watch this…“.
Mit „One Step Beyond„, das Stück, mit dem die mittlerweile 45jährige Karriere der Band ihren Lauf nahm, beginnt das Konzert. Dabei werden die sechs Bandmitglieder von drei Bläser und einem Percussionisten unterstützt. Der Titel hat auch nach dieser langen Zeit nichts von seinem Druck und seiner Eingängigkeit verloren. Allerdings hat sich das Tempo ein wenig verlangsamt. Dies tut der Reaktion des Publikums keinen Abbruch – es wird ab dem ersten Ton ausgelassen gefeiert. Es folgen mit „Embarrassement“ und „The Prince“ ältere Stücke der frühen Alben.
Mit „C’est la Vie“ folgt der Titeltrack des aktuellen Longplayers – der es tatsächlich auf den ersten Platz der britischen Album-Charts geschafft hat. Lee Thompson hat merklich Spaß an seiner Arbeit am Saxophon und gibt praktisch den Alleinunterhalter. Das Zusammenspiel der Rhythmussektion mit den Bläsern sorgt hier für einen interessanten Kontrast, der gelegentlich durch extensive Keyboard-Parts unterbrochen wird.
Mike Barson an den Tasten nimmt auch beim folgenden „NW5“ eine herausragende Rolle ein. Die lockere Instrumentierung kann nicht ganz über die leicht melancholische Grundstimmung hinwegtäuschen. Aber ich freue mich, dass es ein Track meines Lieblingsalbums in die Setlist des Konzertes geschafft hat. Es folgen mit „My Girl“ und „The Sun and the Rain“ wiederum ältere Stücke, beide nicht unbedingt typische beschwingte Partymusik und mit ernsteren Texten. Das Live-Arrangement setzt andere Schwerpunkte als die Originalaufnahmen – was sehr gut funktioniert.
Glücklicherweise hat es auch mein ganz persönliches Highlight vom neuen Album in die Setlist geschafft. Eigentlich passt „Hour of Need“ gar nicht zu einer Band, die sich ihren Namen mit locker-leichten, aber häufig hintersinnigen Liedern gemacht hat. Für mich eines der emotionalsten Stücke, die ich seit langer Zeit gehört habe – und mein heimlicher Höhepunkt des letzten Albums. Die etwas gedrückte Stimmung wird sofort durch „Wings of a Dove“ und „Lovestruck“ aufgehellt, beide wieder aus frühen Veröffentlichungen.
Praktisch nur auf Percussion und Bläser setzt „Run for your Life“. Im Prinzip besteht das Stück aus einer Aufzählung von Katastrophen angefangen beim Brexit, über den Klimawandel, Corona und den Krieg in der Ukraine. Trotzdem bleibt bei dem Rhythmus eigentlich keine andere Wahl, als mitzuhüpfen. Ein Blick nach hinten zeigt, dass es mir damit nicht alleine so geht.
Danach folgt ein Ausflug weit zurück in die Bandgeschichte – allerdings nicht 126 Jahre, wie Sänger McPherson behauptet. Bei „Bed and Breakfast Man“ und „Shut Up“ erweist sich das Publikum als textsicher und singt lautstark mit. Hier ist noch der typische „nutty sound“ zu hören, der Madness von anderen Ska-Gruppen der Zeit abhob. Mit „Taller Than You Are“ kommt sogar eine gepflegte Rocksteady-Nummer vom Dangermen-Album, mit dem die Band auf Spurensuche in den 1960er ging. Hier sind es das wild orgelnde Keyboard und die harmonischen Bläsersätze, die im Gedächtnis bleiben. Schließlich folgt ein Lobgesang auf „Mr. Apples“ – einen typischen Vertreter der britischen Oberschicht. Danach verlassen die Bandmitglieder, von den Herren Foreman und Woodgate abgesehen, die Bühne. Chris Foreman übernimmt das Mikrofon und plaudert in gewöhnungsbedürftigem Denglisch mit dem Publikum. Anschließend gibt er eine recht spezielle Karaoke-Version von „Highway to Hell“ zum besten.
Nach diesem kurzen Intermezzo kommt die Band wieder auf die Bühne und legt mit „House of Fun“, „Baggy Trousers“ und „Our House“ richtig los. Alle drei Stücke haben nichts von ihrem Schwung verloren und das Publikum erweist sich, wenig überraschend, sowohl als textsicher, wie auch tanzfreudig. Sicher wäre ein Madness-Konzert ohne dieses Hattrick nicht denkbar – unbestreitbar der Höhepunkt des Abends. Deutlich ruhiger geht es dann mit „It must be Love“ weiter – bei dem schließlich die Besucher den Gesang übernehmen dürfen. Damit verabschiedet sich die Band erneut von der Bühne. Nur um kurz darauf wieder zu kommen und die Zugabe zu spielen.
Mit „Madness“ vom Debüt-Album wird das Publikum noch einmal diskret hingewiesen, wer hier auf der Bühne steht. Erneut ist es ein Saxophon-Solo, das hervorsticht. Das Stück geht nahtlos in einer SEHR ungewöhnliche und lange Version von „Night Boat to Cairo“ über, mit der die Band gerne Konzerte beendet. So ist es auch in diesem Fall und nach fast 90 Minuten verlassen die Musiker endgültig die Bühne.
Eigentlich ist mein Plan, mich direkt auf den Heimweg zu machen, da ich am nächsten Tag noch einige Dinge erledigen muss. Doch kurz vor dem Ausgang treffe ich Bekannte aus dem benachbarten Düsseldorf, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe. So folgt ein längerer Abstecher an die Bar – an der immer noch Gedränge herrscht. Es ist nach Mitternacht, als ich mich schließlich müde, aber glücklich, hinter das Steuer meines Wagens setze.
Wie war’s?
Um es kurz zu machen: Ein rundum gelungenes Konzert in einer hübschen Location. Zumindest für mich direkt an der Bühne war der Sound recht gut. Über den Klang im Rest des Saales habe ich im Nachgang unterschiedliche Meinungen gehört. Der Stimmung im Publikum hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Praktisch die ganze Zeit (auch beim DJ und der Vorband) war Bewegung – obwohl auf wilde Skankin‘-Exzesse verzichtet wurde. Das mag natürlich dem Alter der Besucher geschuldet sein, aber auch der vollen Halle.
Die Auswahl der Setlist pendelte zwischen einem (zwangsläufig) abgespeckten „Best Of“ und einem Einblick in das aktuelle Album. Dazwischen fand die Band immer wieder Platz, um Stücke von jedem der 13 Alben unterzubringen. Natürlich sind 90 Minuten viel zu wenig, um alle wichtigen und bekannten Titel zu berücksichtigen. So haben mir letztendlich doch ein oder zwei meiner persönlichen Favoriten gefehlt, aber damit kann ich gut leben. Bei der Band hatte ich nicht den Eindruck, dass sie einfach nur ihr Set herunterspielen, sondern mit Spaß an der Sache dabei sind. Während sich die Herren Barson, Woodgate und Bedford weitgehend im Hintergrund halten, spielt sich Gitarrist Chris Foreman im wahrsten Sinne des Wortes öfters ins Rampenlicht. Saxophonist Lee Thompson sorgt in wechselnden Outfits und seinen häufigen Positionswechseln für einige Lacher. Sänger Suggs McPherson kommentiert fast jedes Stück mit kurzen Sätzen, und sucht die Kommunikation mit dem Publikum. Stimmlich hakt es zwar an manchen Stellen ein wenig, aber darüber lässt sich gut hinweg sehen. Insgesamt eine sehr ordentliche Leistung, die die sechs Herren (eigentlich schon im Rentenalter) hier abliefern.