Veranstaltungsdatum: 31.03.2024
Veranstaltungsort: Goldgrube »
In den Beginn meiner musikalischen Sozialisation, etwa Mitte der 1980er Jahre, fällt eines der ersten „großen“ Konzerte, die ich seinerzeit besuchte. Im örtlichen Jugendzentrum, mit vielleicht 80 Besuchern ausverkauft, spielte damals die Leverkusener Punk-Band OHL. An den Auftritt selbst kann ich mich nicht mehr erinnern – aber an die Schallplatte, die ich im Anschluss beim Merch-Stand kaufte.
Dabei handelte es sich um ein Nebenprojekt des Sängers mit dem vielversprechenden Namen Der Fluch. Sowohl Cover wie auch die Titel der Stücke sprachen mich (als angehenden Gruftie) doch sehr an. Musikalisch gab es etwas auf die Ohren, dass man „Horror-Punk“ nannte. Ich war schwer beeindruckt, verlor die Band jedoch aus Mangel an Veröffentlichungen und Auftritten bald aus den Augen. Erst nach einer über zehnjährigen Pause gibt es neues Material und die eine oder andere Tour. Allerdings sollte es noch einmal fast 20(!) Jahre dauern, bis ich einen Versuch starte, die Band live zu sehen. Beim ersten Anlauf auf dem Kölner Amphi 2015 wird das Konzert aufgrund eines Unwetters abgesagt. Im folgenden Jahr hatte ich dann mehr Glück und konnte die Musiker auf der Bühne im Schiff sehen – für mich eines der Festival-Highlights.
Weitere Konzerte von Der Fluch finden mittlerweile immer wieder einmal statt – allerdings meist nicht in meinem unmittelbaren Einzugsbereich. Auch der Auftritt in Kassel am Ostersonntag ist eigentlich ein bisschen zu weit weg. Andererseits habe ich über die Feiertage keinerlei Verpflichtungen und mit dem Landesticket würden sich auch die Fahrtkosten in einem überschaubaren Rahmen halten. Also bestelle ich kurzentschlossen eine Karte für das Konzert in der Kasseler Goldgrube. Für die Übernachtung ist schnell ein günstiges Hotel im Bahnhofsviertel gefunden. Und damit ist alles bereit für einen kleinen, spontanen, Ausflug nach Nordhessen.
An einem verschlafenen, ruhigen Sonntag Morgen mache ich auf den Weg nach Wiesbaden, parke das Auto im Büro und schlendere zum Hauptbahnhof. Die Zugfahrt in Richtung Kassel mit zwei Regionalbahnen verdränge ich dagegen am besten gleich wieder. Als ich nach drei Stunden mein Ziel erreicht habe bin ich hochgradig genervt, durchgeschwitzt und habe in menschliche Abgründe geblickt. Auch das Hotelzimmer kann die Erwartungen, die die gediegene Eingangshalle weckt, nicht annähernd halten.
Da die Temperatur recht angenehm ist, mache ich mich nach einer kurzen Verschnaufpause kurzentschlossen zu Fuß auf den Weg zur Goldgrube. Da ich noch nie wirklich in der Kasseler Innenstadt war, nutze ich die Gelegenheit auch für ein wenig Sightseeing – was ich mir allerdings hätte sparen können. Schließlich erreiche ich die Location und laufe prompt daran vorbei. Ein Blick auf die Navigationssoftware meines Telefons bringt mich jedoch schnell wieder auf den richtigen Weg. Wirklich auffällig ist der Eingang tatsächlich nicht – aber mittlerweile stehen einige Besucher vor der verschlossenen Tür. Der Andrang ist immer noch überschaubar, dadurch ergibt sich für Sänger Deutscher W. die Gelegenheit, die anwesenden Gäste persönlich zu begrüßen. Das nenne ich Kundenservice!
Das Konzert
Als sich kurz nach 19 Uhr die Tür öffnet, haben sich auch ein paar Besucher mehr eingefunden. So geht es dann eine schmale Wendeltreppe hinunter in den Club. Für mich ist es eine Premiere und so schaue ich mir die Lokalität interessiert an. Direkt neben der Treppe befindet sich die Einlasskontrolle zusammen mit der Garderobe, danach geht es in den Hauptraum. Ein kleiner Merch-Stand ist aufgebaut – allerdings ist die Auswahl recht überschaubar. Die langgezogene Theke nimmt eine komplette Seite des Clubs ein, die Bühne eine weitere. Die Decke ist relativ niedrig, die Beleuchtung schummerig und der ganze Laden macht einen gemütlichen Eindruck. Im Gegensatz zur Kasseler Innenstadt fühle ich mich hier direkt wohl!
Während ich an meinem Getränk nippe und mir einen Platz an der Bühne sichere, kommen immer mehr Gäste die enge Treppe hinunter. Der DJ sorgt derweil für angemessene musikalische Unterhaltung mit einem Schwerpunkt auf frühen Goth-Rock und Post-Punk. Ein Blick auf das Publikum zeigt eine sehr durchmischte Gruppe. Grufties, Punks, Skinheads und Metaler jeglicher Altersstufen tummeln sich in dem Gewölbe. Zwei Paare haben sogar ihren Nachwuchs mit auf das Konzert genommen.
Kurz vor 20 Uhr betreten schließlich Kadeadkas die Bühne. Das Quartett aus Köln war mir bis dahin völlig unbekannt. Die Band präsentiert sich mal rockig, huldigt dann wieder dem Post-Punk der frühen 1980er Jahre und lässt auch eine Portion Gothic nicht vermissen. Sängerin Kati schafft es leider zu Beginn nicht immer sich gegen Gitarre, Schlagzeug und vor allem den sehr dominanten Bass zu behaupten. Trotzdem nehmen die Kölner das Publikum mit. Es trauen sich sogar einige Gäste vor der Bühne das Tanzbein zu schwingen. Im späteren Verlauf nehmen dann auch die Vocals den Raum ein, der ihnen zusteht; teilweise unterstützt vom Bassisten. Die einnehmende Bühnenpräsenz der Sängerin tut ihr Übriges, um den Auftritt gelungen abzurunden – einschließlich eines klitzekleinen Self-Bondage mit dem Mikrofon-Kabel.
Gut 40 Minuten dauert das Set, bevor die Band die Bühne frei macht. Nach einer kurzen Verschnaufpause ist dann auch der Merch-Stand mit der Frontfrau besetzt. Diese Gelegenheit nutze ich, um mir das Debut-Album „HalluciNation“ zu holen und signieren zu lassen. Die restlichen Musiker haben sich derweil mit Getränken versorgt und warten mit dem Publikum auf den Einsatz der Hauptband.
Nach einer kurzen Umbaupause ist es dann endlich Zeit für Der Fluch. Ein zufälliger Besucher könnte rein von der Optik wahrscheinlich eher an eine Jazz-Kombo denken: vier Herren gesetzteren Alters in schwarzen Anzügen und mit Sonnenbrillen betreten die Bühne. Vom Band läuft derweil das Intro einer Hörspielreihe – ich vermute Gabriel Burns.
Ohne weitere Umschweife geht es dann mit „Ich bin der Fluch“ los. Beinahe ab dem ersten Ton ist Bewegung im Saal und das Publikum erweist sich als erstaunlich textsicher. Musikalisch gibt es bewährte Kost auf die Ohren – gradlinigen Punk, Rock der härteren Gangart, ruhige Parts, aber auch melodische Strukturen des Psychobilly vermischen sich zu einem funktionierenden Ganzen. Dazu plakative Texte, die kaum ein Horror-Klischee auslassen und sich gerne an einschlägigen Film-Themen bedienen. Die Musik der Band ist sicherlich nicht nach jedermanns Geschmack – aber die Anwesenden sind durchweg am Feiern.
Die Musiker spielen sich in der nächsten Stunde durch gut 40(!) Jahre Bandgeschichte. Wobei der Schwerpunkt, so mein Eindruck, auf dem selbstbetitelten Album von 1982 liegt. „Hexen leben länger“, „Asche zu Asche“ oder beispielsweise „Herr der Fliegen“ klingen immer noch recht frisch und kommen druckvoll aus den Boxen um. Mit „Das Grauen geht um heut Nacht“ hat die Band sogar ein romantisches Liebeslied im Repertoire – zumindest kündigt es Deutscher W. so an. Insgesamt tragen die launigen Anmoderationen des Sängers ebenso wie die gelegentlichen Ausflüge in den Zuschauerraum und die Interaktion mit dem Publikum sehr zu dem guten Gesamteindruck bei. Die Stimmung ist hervorragend und bis in die letzten Reihen herrscht Bewegung.
Der Hauptteil des Sets endet nach gut einer Dreiviertelstunde mit dem grandiosen „Rattengift“. Der Refrain wird hier lautstark mitgesungen/-gegröhlt und Deutscher W lässt das Mikrofon in der ersten Reihe herumgehen, so dass jeder seinen Beitrag leisten kann.
Nach einer winzig kleinen Pause gibt es ein schmuckes Gitarrensolo, bevor der zweite Teil des Auftritts mit „Hexen sind schön“ fortgesetzt wird, das nahtlos in „Betet für uns“ übergeht. Mit „Die Nacht der Toten“ folgt praktisch der Abschied der Band. Schließlich endet das gut einstündige Set mit DEM Klassiker schlechthin: „Halb Mensch halb Tier“. Hier gibt der Sänger noch einmal alles, streift durch den Saal, kriecht auf der Bühne und holt sich kurz Verstärkung von der Sängerin der Kadeadkas. Mittlerweile hat sich allerdings der Text etwas geändert. Da niemand Deutscher W. mehr den jungen Werwolf abnehmen würde, singt er nun „Ich bin ein alter Werwolf…“ – wobei sich der Frontmann wirklich gut gehalten hat.
Damit verabschiedet sich die Band in den Backstage-Bereich, nur um sich wenige Minuten später wieder unter das Publikum zu mischen. Nach einigen netten Unterhaltungen und dem einen oder anderen Getränk mache ich mich eine gute Stunde später schließlich auf den Weg zurück ins Hotel.
Wie war’s?
So viel Spaß, wie mit Der Fluch hatte ich schon lange nicht mehr an einem Ostersonntag! Die Band war mit Schwung und Elan bei der Sache, das Publikum war gut drauf und die Goldgrube ist eine wirklich schicke, gemütliche Location. Außerdem habe ich mit Kadeadkas spannende neue Musik kennengelernt. Bei Sound und Licht gab es nichts zu meckern – bis auf die gelegentlich schwächelnden Vocals der Vorband. Insgesamt ein rundum gelungenes Konzert mit zwei tollen Bands für kleines Geld.
Die Fahrt nach Kassel und auch das Hotel verdränge ich allerdings lieber gleich wieder…
Mehr Bilder vom Konzert gibt es HIER!