Veranstaltungsdatum: 23.03.2017 bis 26.03.2017
Veranstaltungsort: Leipziger Buchmesse »
Es ist fast schon Tradition: Eine Messe mit subkulturellem Inhalt ist zu Ende und in der Medienwelt herrscht Krieg. Da können wir uns alles Mögliche anschauen, sei es die gamescom in Köln, das Wave Gothic Treffen oder die Buchmesse in Leipzig. Irgendwer tritt hinterher öffentlich ins Fettnäpfchen und wird an den Pranger gestellt und mit faulen Eiern beworfen. Und dann kommt die Gegenseite und macht es ihm gleich. Diese Woche ist das Thema Cosplay und Leipziger Buchmesse an der Reihe. Auf der einen Seite haben wir Carsten Otte, Literaturredakteur des SWR, auf der anderen Seite Cosplayer, Autoren und Andersdenkende, die mitmischen wollen. Doch was genau ist passiert?
Wo Unterhaltung drauf steht, ist Cosplay drin
2011 wagte es der Sender RTL nach einer gamescom zu behaupten, dass der Großteil der Besucher nicht auf sein Äußeres achtet und streng riecht. Der Aufschrei der Gamer war groß. Will man aber einmal ehrlich sein: selbst der gepflegteste Mensch kann trotz Deo und Parfüm auf einem Messegelände im Hochsommer nach 10 Stunden kaum noch behaupten wie ein Rosenstrauß zu duften. Dabei ist es aber absolut egal, ob er Anzug trägt oder ein selbstgeschneidertes Cosplay-Kostüm.
Die Cosplay-Szene setzt sich in Deutschland immer mehr durch. Es gibt viele Veranstaltungen, die sich rein um dieses Thema drehen und einige, bei denen zumindest die Verkleidungswütigen einen festen Platz haben. Die gamescom ist eine davon, oder die Dreamhack. Und natürlich bewegen sich die Cosplayer auch außerhalb der Gaming Welten. So ist die Leipziger Buchmesse, die zusammen mit der Manga und Comic Convention veranstaltet wird, ein Pflichttermin für viele von ihnen. Warum auch nicht? Schließlich gehören Mangas und Comics in die Verlagswelt und diese wiederum auf eine Buchmesse. Und ist es nicht schön zu sehen, wie sich Menschen kreativ austoben, mit besonderen Materialien die verrücktesten Kostüme erstellen und dann auch noch ansprechend präsentieren?
Platzmangel wegen zu viel nackter Haut?
Leider hat das aber auch eine Kehrseite. Wer schon mal auf einer Leipziger Buchmesse war, und das im besten Fall vor fünf Jahren und beispielsweise vor einem Jahr, der weiß wovon ich spreche: Es ist voll. Es ist nicht nur voll, es ist zu voll! Wollte ich vor fünf Jahren die Halle wechseln, stand ich erstmal im Stau. Da verabredet man sich irgendwo, wer nicht mindestens 20 Minuten vorher losgeht, kommt definitiv zu spät an, selbst wenn es am Ende derselben Halle ist, in der man sich befindet. Das liegt nicht nur an den vielen Besuchern, sondern oft auch an den aufwendigen Kostümen, die mit überdimensionierten Flügeln und Waffen mehr Platz einnehmen, als die Person ohne Verkleidung es tun würde. Und da wir von Jahr zu Jahr mehr Cosplayer in Deutschland haben, steigen natürlich auch ebenso die Besucherzahlen. Es wird also nicht nur voller, die Messe platzt aus allen Nähten.
Das haben die Veranstalter auch erkannt, weshalb es für die Cosplay-Szene mittlerweile sogar eine eigene Halle gibt. Viel geholfen hat es jedoch nicht, denn mit dem erneuten Brechen der Besucherrekorde ist auch die Halle mittlerweile zu klein und der Rest der Messe – wer konnte es ahnen? – zu voll. Wer dagegen etwas sagen möchte: nur zu! Schließlich ist dies ein Umstand, der nicht unbedingt personenbezogen ist. Wer sich jedoch nicht wegen des Platzmangels echauffiert, sondern eine ganze Bewegung wegen vereinzelten Kostümen schlecht darstellt, der hat meiner Meinung nach gewaltig ins Fettnäpfchen gegriffen. Und so liest sich der Artikel „Kein Ort für nackte Hasen“ von Carsten Otte: Porno hier, nackte Haut da und alle beteiligten sind natürlich minderjährig. Mittlerweile hat er mit einem offenen Brief nochmal Stellung bezogen und wollte natürlich nicht eine ganze Kulturbewegung diffamieren, aber am Standpunkt der halbnackten Minderjährigen hält er dennoch fest.
E- und U-Literatur – Ein nicht endendwollender Kampf um Anerkennung
Zugegeben, einige der Kostüme sind wirklich sehr luftig und gewagt, und natürlich posiert man bei einem Fotoshooting, das aber gleich als Porno hinzustellen ist schon etwas weit hergeholt. Genau das wird nun Herrn Otte auch vorgeworfen und dazu heißt es, er agiere mit Altherren-Denke. Titel wie „Die Arroganz der grauhaarigen alten Männer“ von Lena Falkenhagen auf tor-online.de locken Leser an. Das Groteske an der Sache ist, Herr Otte ist weder alt noch grauhaarig, genauso wie die Cosplayer auf der Buchmesse keine minderjährigen nackten Hasen sind, die in pornografischen Posen vor der Kamera stehen. Und schon wandert die Diskussion in Randthemen über und es beginnt der ewige Krieg zwischen E- und U-Literatur.
Die Unterhaltungsliteratur (abgekürzt U-Literatur) umfasst alles, was irgendwie mit Fiktion zu tun hat, also nicht der Wahrheit entspricht. Das können fiktive Charaktere aber auch Handlungsstränge sein. Das Gegenstück dazu ist die ernste Literatur (E-Literatur), die auch gerne als „echt“ bezeichnet wird. Das bedeutet nicht, dass die U-Literatur keine echte Literatur ist, aber da sie fiktiv ist, ist sie nicht „echt“. Soweit die Definition. Entsprechend kabbeln sich beide Seiten sehr gerne. Die U-Literatur wird gerne an den Rand geschoben, weil sie nicht ernst zu nehmen ist, sie ist ja keine E-Literatur. Die E-Literatur hingegen wird gerne hinterwäldlerisch dargestellt: alte Herren in grauen Anzügen, wie wir sie aus Momo kennen. Dabei gibt es auch dort Werke, die man lieber nicht allzu ernst nehmen sollte. Fun Fact an dieser Stelle: Carsten Otte wird in dieser Darstellung als der Vertreter der E-Literatur gesehen. Er zählt allerdings auch zu den Kinderbuchautoren (Marte und das Meer).
Die zwei Seiten der Medaille
Alles in unserer Welt scheint sich in zwei Lager zu spalten: Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Links und Rechts. Entweder du befindest dich in einem Lager, oder eben im anderen. Das zieht sich durch unser ganzes Leben, im Freundeskreis, in der Politik, beim Job und in der Freizeit. Wer hat festgelegt, dass ich nach der Trennung eines befreundeten Pärchens nicht mit beiden weiter befreundet sein kann? Wer hat festgelegt, dass ich nicht Metal UND Electro hören darf? Oder dass ich ebenso gehobene Fachliteratur wie auch Mangas lesen mag?
Der Katzenzustand ist doch auf alles anwendbar! Und wenn Schrödingers Katze zeitgleich tot und lebendig ist, dann kann ich genauso Beethoven und Cannibal Corpse mögen. Oder etwa nicht? Ebenso kann ich doch auch in die phantastischsten Welten versinken und eine Autobiografie verschlingen (im übertragenen Sinne natürlich!). Warum also sollte man die Buchmesse und die Manga und Comic Con trennen? Klar, es sind zwei verschiedene Seiten, aber es ist immer noch ein und dieselbe Medaille.
Beitragsbild: Cosplay: Fatal Fran und Nana als Nick und Judy (Zoomania), Foto: Narya Cosplay