Auf See

22.08.2022 von Margarita

Theresia Enzensbergers Auf See, Hanser 2022

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ISBN: 978-3-446-2739

Format: Hardcover

Seiten: 272

Preis: 24,00

Erscheinungsdatum: 22.08.2022

Sprache: Deutsch

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In Theresia Enzensbergers neuem Roman „Auf See“ geht es um den Wunsch nach Freiheit, der nicht selten zu Ausbeutung führt.

Schwimmende Wohnstatt in der Sonderwirtschaftszone

Yada wächst auf einer hypermodernen Selbstversorgerinsel in der Ostsee auf. Die restliche Welt ist dem Untergang geweiht – so zumindest hat Yada es gelernt. Doch was ist das für eine bienenwabenartige Wohnstatt, in der es – außer Yada – keine Kinder gibt? In der es überhaupt nur Yadas Vater, ihren Psychologen und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gibt, die auf einem Schiff schlafen?
Als Yada eines Morgens mit Schrammen aufwacht, obwohl sie sich nicht erinnern kann, ihr Bett verlassen zu haben, beginnt sie Nachforschungen anzustellen. Eigentlich schleicht sie sich nur in das Arbeitszimmer ihres Vaters, um ihre eigenen Wege nachzuverfolgen. Doch die Suche nach den Videos ist erst der Anfang, und schon bald erkennt Yada, dass ihr Vater sie belügt.

Enzensberger verwebt 3 Handlungsstränge ineinander. Während Yada einsehen muss, dass sich die Utopie längst zum Albtraum entwickelt hat, versucht Helena, die Entstehung einer neuen Sekte zu verhindern. Als eine Art künstlerisches Forschungsprojekt gedacht, hat Helena die Gruppe selbst ins Leben gerufen. Doch nun, da ihr Projekt beendet ist und die Gruppe ohne Guru zurückbleibt, sehnen sich die Mitglieder nach Führung. Das wiederum nützt der profitgierige Arthur für seine eigenen Zwecke.
Und dann gibt es noch das Archiv. In diesem sammelt Helena ihre Recherchenotizen. Da geht es um Darwins Eingriff in das ökologische Gleichgewicht einer Insel. Um Leicester Hemingways New Atlantis, um Scientology, um die Anfänge des Neoliberalismus und Sonderwirtschaftszonen.

Wie ein Mosaik fügen sich die Teile nach und nach zu einem Gesamtbild. Man ahnt bald, wie alles zusammengehört – und doch verschiebt sich das Bild. Denn ganz so, wie man denkt, kommt es dann nicht.

Dramaturgische Schwächen – oder doch Absicht?

Ich bin in dieses Buch von Anfang an hineingekippt. Was auch daran liegt, dass ich rasche Perspektivenwechsel, deren Zusammenhänge sich erst nach und nach erschließen, liebe. Die vagen Andeutungen in den Yada-Teilen erzeugen eine subtile Spannung, man möchte wissen, wie es mit dem Mädchen weitergeht. Welche ominöse Krankheit hatte ihre Mutter? Und wieso lässt ihr Vater sie glauben, dass diese gestorben sei?
Besonders aufwühlend sind die Archiv-Kapitel, die beim Lesen das eigentliche Entsetzen auslösen. Denn sie zeigen, dass die Realität der Fiktion in puncto Grausamkeit in nichts nachsteht. (Stichwort Ausbeutung von Mensch und Natur, Stichwort Privatisierung von Staatseigentum, Stichwort Sonderwirtschaftszone).
„Auf See“ ist kein Pageturner für Endzeit-Thriller-Fans, sondern knallharte Gesellschaftskritik. Enzensbergers Erzählton ist flott und frei von Schnörkeln, die Rückblenden ufern nicht aus, die Geschichte kommt mit 260 Seiten aus.

In der zweiten Hälfte, vor allem gegen Ende, fasert der Roman allerdings aus. Warum die Autorin auf den letzten Seiten neue Perspektiven einführt, hat sich mir nicht ganz erschlossen. Störend waren sie zwar nicht, aber sie haben dazu geführt, dass die Hauptpersonen verblassen. Vor allem aber wird im letzten Drittel des Romans jede aufkommende Eskalation im Keim erstickt, auch bleiben viele Fragen unbeantwortet. Die Menschen arrangieren sich, manches löst sich auch in Wohlgefallen auf – für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr.
Trotzdem ist „Auf See“ kein Roman, den man am Ende zuklappt. Zu aufgewühlt ist man nach der Lektüre. Vielleicht, weil man sich selbst nicht arrangieren, sondern aufbegehren will.

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