Madness

07.10.2016 von Marcus Pohlmann

Madness

Musiker: ,

Genre: ,

Veranstaltungsdatum: 04.10.2016

Veranstaltungsort: RuhrCongress Bochum »

Eine meiner ersten Musik-Cassetten (die komischen schwarzen Plastikkästchen mit zwei Löchern und einem Magnetband) war Keep Moving von Madness aus dem Jahr 1984. Nicht unbedingt das beste/typischste Album der Band, aber für mich war es der Einstieg in die Musik des Septetts aus London. In kurzen Abständen folgten die anderen Alben (diesmal auf Platte) und auch andere Künstler aus dem Ska-Genre wanderten schließlich in meine stetig wachsende Sammlung. Leider hatte ich nie Gelegenheit gehabt die Band live zu erleben, waren die wenigen Konzerte in den letzten Jahre doch meist auf London beschränkt. Daher überraschte mich die Ankündigung, dass Madness, inzwischen zum Sextett geschrumpft, im Rahmen einer Promo-Tour für ihr neues Album auch für zwei Termine nach Deutschland kommen würden. Ohne lange nachzudenken buchte ich Tickets und Hotel für Bochum, da das Konzert in Berlin aus verschiedenen Gründen für mich nicht in Frage kam. Nun musste ich nur noch das halbe Jahr bis zu dem Termin irgendwie überbrücken. Glücklicherweise sind Konzerte von Ska-Bands im Rhein-Main-Gebiet keine Seltenheit, daher hatte ich genug Möglichkeiten mich bis Oktober einzustimmen, beispielsweise erst Ende September mit den wirklich großartigen Buster Shuffle.

Die Fahrt nach Bochum verlief trotz der zahlreichen Baustellen erfreulich unproblematisch, auch das Zimmer im Ramada ging für den Preis durchaus in Ordnung, auch wenn ich in der Hinsicht mittlerweile doch etwas verwöhnt bin. Bis zum Konzert blieben mir noch ein paar Stunden, die ich für eine kleine Sightseeing-Tour durch die Bochumer Innenstadt nutzen wollte. Viel zu sehen gab es hier nicht, von einer erstaunlich großen Zahl an Süßwaren-Outlets und der Freßmeile Bermuda3eck abgesehen. Wieder zurück im Hotel war ich dankbar ein Zimmer im Erdgeschoß zu haben, war der Fahrstuhl doch noch immer defekt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause schnürte ich schließlich meine Doc Martens und schlenderte die paar Meter zum RuhrCongress, dessen Türen sich um 19 Uhr öffnen sollten. Der Besucherandrang hielt sich in einem sehr überschaubaren Rahmen und vielleicht hundert Leute standen vor der Halle, tranken, rauchten und unterhielten sich miteinander. Offensichtlich waren auch viele Fans aus den umliegenden Ländern angereist, konnte ich doch Gesprächsfetzen in den unterschiedlichsten Sprachen auffangen.

Recht pünktlich wird uns Einlass gewährt, und die, mittlerweile etwas angewachsene, Menge schiebt sich geordnet in die Räumlichkeiten. Ich lasse den Merchandise-Stand und die Bar schnell hinter mir und gehe direkt in den Saal um noch einen Platz direkt an der Absperrung in wenigen Metern Entfernung zur Bühne zu bekommen. Immer mehr Besucher strömen nun in den Innenraum auch die beiden Emporen füllen sich stetig und als um 20 Uhr die Lichter ausgehen ist die Halle fast komplett voll.

Bringen die Halle auf Betriebstemperatur: The Frits

Bringen die Halle auf Betriebstemperatur: The Frits

Den Einheizer geben an diesem Abend The Frits, die in Bochum praktisch ein Heimspiel haben. Unterstützt wird die achtköpfige Band dabei durch den allgegenwärtigen Dr. Ring Ding an der Posaune, den ich damit in diesem Jahr schon zum dritten Mal mit drei verschiedenen Bands gesehen habe. Die Herren eröffnen mit „Concrete Jungle“, eher eine Rockabilly-Nummer, ihr Set und das Publikum wippt beinahe vom ersten Ton an mit. Neben eigenen reinrassigen Ska-Stücken aus der mittlerweile über 30jährigen Bandgeschichte, wie „Hey Girl“, „Streetfighter“ oder „Little Idiots“, geben sie auch zwei Cover-Versionen zum Besten. „Rat Race“, im Original von The Specials gehört bei vielen Bands des Genres zum festen Repertoire und wird vom Publikum entsprechend gefeiert. Etwas überrascht hat mich dagegen die locker-leichte Version von „Always Look On The Bright Side Of Life“ mit der sich The Frits nach etwas mehr als einer halben Stunde von der Bühne verabschieden. Trotz der zahlreichen und lautstarken Rufe nach einer Zugabe bleibt die Band leider im Backstage-Bereich verschwunden, was zwar schade aber, angesichts des straffen Zeitplans, nicht unerwartet ist.

Nach einer erstaunlich kurzen Umbaupause verdunkelt sich um ziemlich genau 21 Uhr die Bühne und ein zuckersüßes Intro vom Band wird eingespielt, ziemlich rüde unterbrochen von Sirenen und verzerrten Soundschnipseln.

Ein dezenter Hinweis auf das Motto des Abends

Ein dezenter Hinweis auf das Motto des Abends

Verstärkt von einer dreiköpfigen Bläsersektion betreten die verbliebenen Bandmitglieder, Cathal Smyth aka Chas Smash hat die Band vor einiger Zeit verlassen, im Anzug und mit Hut die Bühne und geben mit „One Step Beyond“ aus dem Jahr 1979 die Richtung vor. Saxophonist Lee Thompson balanciert am Bühnenrand und schlendert von einer Ecke zur anderen bevor er seinen Platz findet. Beim folgenden „Embarrassment“ ist Sänger Suggs McPherson stellenweise schwer zu verstehen, aber das Publikum singt laut genug mit um diese kleine Panne zu kaschieren. Im Gedenken an das kürzlich verstorbene Ska-Urgestein Prince Buster spielt die Band „The Prince“, seinerzeit ihre Debüt-Single. Dazwischen macht Suggs seine Späße mit dem Publikum, liefert kleine Tanzeinlagen, begrüßt das Publikum auf spanisch, kündigt einige Cover von One Direction an, nur um dann doch „NW5“ vom 2009er Album The Liberty Of Norton Folgate zu spielen. Nach einigen Frotzeleien innerhalb der Band folgen mit „My Girl“, „Take It Or Leave It“ und „Wings Of A Dove“ Stücke aus den frühen 80ern, die vom Publikum entsprechend gefeiert werden. Die meisten Besucher beschränken sich darauf, zur Musik zu wippen und mitzusingen, was weitgehend dem fortgeschrittenen Alter geschuldet sein dürfte. Nur vereinzelt wird ausgelassen getanzt und gesprungen, allerdings in einem sehr überschaubaren, zivilisierten Rahmen – da bin ich durchaus Schlimmeres gewohnt.

Suggs McPherson immer noch recht gut in Form

Suggs McPherson immer noch recht gut in Form

Mit „Herbert“ spielen Madness dann das erste Stück vom Album Can’t Touch Us Now, das Ende Oktober erscheinen wird. Das Lied lässt ein wenig den Schwung vermissen, ist aber doch sehr entspannt und eingängig, was mir (und wohl auch den anderen Zuschauern) recht gut gefällt. Wieder zurück in die 80er geht es mit „The Sun And The Rain“, eine großartige Schunkelnummer bei der praktisch die ganze Halle im Takt mitwippt. Auch eine Cover-Version hat es in die Setlist des Abends geschafft: mit „I Chase The Devil“ von Max Romeo spielt die Band fast klassischen Reggae, bei dem das Saxophon eine extrem exponierte Stellung einnimmt. Letzte Woche hatten die großartigen (und deutlich jüngeren) Buster Shuffle bei einem Konzert im Wiesbadener Schlachthof dem selten gehörten Stück eine völlig andere Richtung und deutlich mehr Druck verpasst. Schwer zu sagen, welche der beiden Varianten nun die bessere war. Das Titelstück des neuen Albums „Can’t Touch Us Now“ groovt, ist melodisch und durchaus tanzbar, verfügt aber auch über einige melancholische Untertöne. Eine schöne Nummer, die nahtlos mit viel Bläsern und Keyboard an die klassischen Stück anknüpfen kann. Der „nutty sound“, das frühe Markenzeichen der Band, kommt bei „Bed And Breakfast Man“ vom Debüt zum ersten Mal an diesem Abend richtig durch. Mittlerweile steht niemand mehr im Saal still, die Herrschaften auf den Sitzplätzen der Empore einmal abgesehen und auch bei „Shut Up“ zählen alle artig bis drei und feiern mit der Band. Erneut wird Prince Buster bemüht, diesmal mit einem Cover von „Girl Why Don’t You?“, wieder sehr reggaelastig aber durchaus tanzbar.

Auch Chris Foreman will im Mittelpunkt stehen

Auch Chris Foreman will im Mittelpunkt stehen

Während der Rest der Band die Bühne verlässt um Getränke nachzufüllen und den Schweiß zu trocknen bleibt Gitarrist Chris Foreman alleine zurück und singt mit Halbplayback und sehr viel Enthusiasmus „Highway To Hell“. Erholt und motiviert kommen Madness zurück, und liefern mit „House Of Fun“ wohl eines der bekanntesten und erfolgreichsten Stücke ihrer Geschichte. Auch nach gut 30 Jahren funktioniert das Lied immer noch ganz hervorragend und tatsächlich kommt jetzt auch wirklich Bewegung ins Publikum. Das es noch etwas schneller geht beweist das folgende „Baggy Trousers“, eines meiner Lieblingsstücke. Nur folgerichtig das die Band noch „Our House“ nachlegt, über das eigentlich keine Worte verloren werden müssen. Das deutlich ruhigere „It Must Be Love“ leitet das Ende des Sets ein und die Musiker verschwinden im Anschluss hinter die Bühne.

Rocken können die alten Herren auch noch

Rocken können die alten Herren auch noch

Nach einer angemessenen, glücklicherweise nicht zu langen, Pause beginnt die Zugabe mit „Mr. Apples“ vom neuen Album. Das Stück fügt sich nahtlos in das restliche Repertoire der Band ein und hätte auch auf einem der frühen Alben seinen berechtigten Platz gehabt. Für den Endspurt müssen „Madness“ und „Night Boat To Cairo“ herhalten, mit denen die Band sich, das Publikum und den Abend feiert. Hier wird noch einmal richtig Gas gegeben und im kompletten Saal ist Bewegung, sogar auf den Rängen wird (ein kleines bisschen) gefeiert.

Nach nicht ganz 90 Minuten verabschieden sich Madness dann endgültig vom Publikum und lassen sich auch durch noch so viel Rufe und Klatschen nicht zu einer weiteren Zugabe bewegen. Schade eigentlich, aber dafür, dass die Herren mittlerweile alle stramm auf die 60 zugehen haben sie, vor allem Suggs McPherson und Lee Thompson, eine ziemlich tolle Show geboten, viel mit dem Publikum gearbeitet und ihre Späße gemacht. Die Menge strömt schließlich in Rekordzeit aus der Halle nur um dann im Vorraum die Theke, die Garderobe und den Merchandise-Stand zu belagern. Ich drängele mich ebenfalls am Tisch um mir die Auslage ansehen zu können. Die Auswahl an Shirts ist recht umfangreich und groß, gleiches gilt leider auch für die Preise die hier aufgerufen werden. Tonträger finden sich leider gar nicht und die Kosten für ein Polo-Shirt oder gar einen Hoodie finde ich schon recht grenzwertig. Also spare ich lieber mein Geld und nehme mir vor, dieser Tage einen Blick in den gut sortierten Online-Shop der Band zu werfen.

Die Herren Bedford und Foreman in Aktion

Die Herren Bedford und Foreman in Aktion

Langsam macht sich bei mir eine gewisse Müdigkeit breit und nachdem ich ein paar Minuten vergeblich in der Hoffnung ausgeharrt habe, dass sich die Musiker blicken lassen kehre ich der Halle den Rücken. Glücklicherweise sind es nur ein paar Meter vom RuhrCongress bis zum Hotel und so kann ich schon bald müde, kaputt, aber glücklich und zufrieden auf die Matraze sinken.

Die Song-Auswahl war eine gelunge Mischung aus vielen alten Stücken, aufgelockert mit noch unveröffentlichtem Material vom kommenden Album sowie einigen Cover-Versionen von Ska- und Reggae-Legenden, die die Band als The Dangermen vor einigen Jahren bereits eingespielt hat. Ein paar Lieder habe ich zwar schmerzlich vermisst, so beispielsweise „Drip Fed Fred“ oder „Uncle Sam“, aber ich will mich nicht beschweren, die Setlist war toll und es war für jeden etwas dabei. Zudem hatte man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass Madness hier einfach nur ein paar Lieder runterschrubben um ein bisschen Kohle einzufahren. Die Musiker hatten, zumindest sah es für mich danach aus, tatsächlich Spaß daran auf der Bühne zu stehen und sich vom Publikum feiern zu lassen.
Sehr interessant fand ich die Publikumszusammenstellung: Die meisten Besucher waren deutlich über 40, teilweise sogar mit dem Nachwuchs im Schlepptau. Aber auch genug Leute irgendwo zwischen 20 und 30, die eigentlich zu jung sind um die Hochzeiten der Band mitbekommen zu haben, hatten sich eingefunden. Obwohl es im Saal und besonders vor der Bühne doch recht eng wurde, blieben die befürchteten wilden Tanz- und Spring-Attacken aus, auch um Bierduschen kam ich herum. Konzerte mit einem hohen Altersdurchschnitt haben doch tatsächlich ihre guten Seiten.
Technisch gab es an dem Konzert ebenfalls kaum etwas auszusetzen. Zumindest direkt vor der Bühne war der Sound sehr gut, selbst wenn Mr. McPherson hin und wieder von den Bläsern, besonders vom Saxophon, übertönt wurde. Die Bühnenbeleuchtung war, abgesehen vom ersten Stück, eher dezent und stimmig auf die jeweiligen Lieder angepasst, setzte die einzelnen Musiker in Szene oder richtete sich gelegentlich ins Publikum.

Von nur einigen winzigen Schönheitsfehler abgesehen beweisen Madness, dass sie noch im fortgeschrittenen Alter durchaus in der Lage sind eine tolle Show zu bieten, auch wenn die Exzesse früherer Jahre wohl endgültig der Vergangenheit angehören.

 

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